Heute protestieren wieder Bauern bundesweit gegen eine landwirtschaftliche Gesetzesreform. Die Demos der vergangenen Woche wurden von der extremen Rechten instrumentalisiert. Nicht zum ersten Mal.
Von Anna Weers
Galgen und Särge auf Traktoren, völkische Symbolik der Landvolk-Fahne und eine gefährliche Gemengelage aus AfD und anderen rechtsextremen Parteien – an vielen Orten war es am vergangenen Montag, den 8. Januar 2023, und im Verlauf der Woche schwer zwischen der bedrohlichen Kulisse der Transparente-bespannten Traktoren eigentliche Kritikpunkte an der Landwirtschaftspolitik herauszulesen. Heute protestieren die Bauern wieder. Und auch heute vermutlich mit antidemokratischen oder rechtsextremen Botschaften. Die rechtsextreme Unterwanderung der Demos hat jedoch eine Vorgeschichte.
Bereits vor zwei Jahren gab es eine bundesweite Welle an sogenannten Bauernprotesten anlässlich einer Gesetzesreform, welche die Existenzängste vieler landwirtschaftlicher Kleinbetriebe schürte. Besonders viel Aufmerksamkeit erlangten die Proteste durch das Zeigen der Landvolk-Fahne auf den Straßen und die Nachbildung des weißen Pflugs und roten Schwertes mit beleuchteten Treckern auf Ackerflächen, wie Belltower.News damals berichtete.
Der Bezugnahme auf die völkische Landvolk-Bewegung, die sich Anfang des 20. Jahrhunderts formierte und damit auch der Blut-und-Boden-Ideologie des Nationalsozialismus, folgten einige Auseinandersetzungen und Distanzierungen in agrarorientierten Medien. Von Seite der Organisator*innen erfolgten hauptsächlich Abwehrreaktionen. Dabei mischte die Symbolik der Landvolk-Bewegung von Anfang an mit, insbesondere in den Kanälen und Foren von „Land schafft Verbindung“, einer deutschlandweiten Bewegung, die sich im Oktober 2019 gründete.
Mobilisierung im Vorfeld
Die fehlende Distanzierung zu den völkischen Bezügen unter den protestierenden Landwirt*innen und Anmelder*innen und insbesondere der freien Bauern, welche die Demo in Berlin am 8. Januar 2024 anmeldete, war ein gefundenes Fressen für die verschwörungsideologische Szene und die extreme Rechte. Bereits im Verlauf von 2022 war erkennbar, welches Potential rechtsextreme Identitäre wie Martin Sellner und die AfD witterten. Der vielbeschworene „Volkszorn“ sollte für die extreme Rechte gewinnbringend vor den Pflug gespannt werden. Das Ziel wie so häufig „das System“ und ihre Repräsentanten, die Agrarpolitik war lediglich ein lohnender Nebenkriegsschauplatz.
Zeigten sich 2021 lediglich vereinzelte rechte und verschwörungsideologische Medienmacher*innen interessiert, so ist es 2024 eine breite Palette verschiedenster Akteur*innen, die in den Bauernprotesten eine neue Mobilisierungskraft identifizieren. Das Ökosystem rechtsalternativer Medien lief bereits im Vorhinein auf Hochtouren.
Rechtsextreme wie Martin Sellner, das rechtspopulistische Compact-Magazin, Akteur*innen aus dem „Querdenken“- und „Reichsbürger“-Milieu sowie rechtsextreme Parteien wie die AfD und deren Jugendorganisation – sie alle knüpfen an die antidemokratischen Krisenmobilisierungen des letzten Jahrzehnts zu den Themen Gender und Vielfalt, Flucht und Asyl, Covid-19-Pandemie und die Kriege in der Ukraine und Nahost an. Dabei nutzen sie die Gelegenheit, um in sozialen Medien sich als Verstehende und Kümmernde für die Belange der Landwirt*innen zu inszenieren. Ihr eigentliches Ziel: Hetzen, Radikalisieren und Umsturzphantasien verfolgen. Ziel ist nicht eine Wende in der Agrarpolitik, sondern es geht ihnen um’s Ganze: „das System“.
Tatsächlicher Protest
„Zahlreiche Rechtsextreme mischten am 8. Januar bei den Protesten der ‚Freien Bauern‘ in Berlin mit“, berichtet Ulf Balmer von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin im Gespräch mit Belltower.News. Mit Flugblättern und Transparenten präsent waren zum Beispiel Mitglieder der Neonazi-Parteien „Der III. Weg“ und „Die Heimat“ (ehemals NPD) sowie die AfD-Jugend Junge Alternative. Aber auch Protagonist*innen der verschwörungsideologischen Szene waren vor Ort und haben in Livestreams berichtet. „Da dies alles ungehindert möglich war, können wir hier von mindestens rechtsoffenen Protesten sprechen“, so Balmer weiter.
Andernorts, wie etwa in Dresden, versuchten Rechtsextreme der Freien Sachsen Polizeiketten zu durchbrechen. Die Mobilisierungsthemen der extremen Rechten sind austauschbar, wie derzeit mal wieder zu beobachten ist. Unter dem Deckmantel „Bauernprotest“ meldeten am 8. Januar in Dresden die rechtsextremen „Freien Sachsen“ mit Max Schreiber, einem über Sachsen hinaus bekannter Neonazi, eine Kundgebung an. Auch „Querdenken“-Aktivist*innen und AfD-Mitglieder traten in zentralen Funktionen auf. Statt um Agrarpolitik ging es um Covid, Asyl und Hetze gegen den Ministerpräsidenten Kretschmer (CDU) und Vizekanzler und Wirtschaftsminister Habeck (Grüne).
Robert Habeck als Grünen-Politiker mit Regierungsverantwortung verkörpert in rechten Kreisen ein Feindbild, gegen das nicht mehr nur in Schrift- und Bildform und auf Demonstrationen gehetzt wird. Am 4. Januar 2024 besetzte ein Mob aus hunderten Personen den Hafen in Schlüttsiel und machten ein Anlegen und Betreten des Festlandes für die Passagiere unmöglich. Einer der Passagiere war Robert Habeck und genau dieser sollte mit der Aktion adressiert werden.
Die Mobilisierung zu dieser Aktion erfolgte durch diverse Chatgruppen, die auch die Bauernproteste koordinieren, aber auch in Chats AfD-naher Gruppierungen soll der Aufruf verbreitet worden sein. Die Recherchen der ZEIT ergaben eine Spur zu einer QAnon-Anhängerin und AfDlerin, die mit an Bord der Fähre gewesen sein soll und ein weiterer Mitverantwortlicher, der die Symbolik Landvolkbewegung auf seinem Geschäftsauto abbildet.
Kritik statt Vereinnahmung
Dabei gibt es zahlreiche Beispiele, wie Protest und Kritik an der Landwirtschaftspolitik aussehen kann. Unterschiedliche Verbände und zivilgesellschaftliche Bündnisse adressieren ihre Forderungen zu einer menschen- und klimagerechten Landwirtschaft, die auch im kleinbäuerlichen Ausmaß möglich sein soll, an die Politik seit Jahren.
Denn Fakt ist: Viele Tausend landwirtschaftliche Betriebe müssen jährlich ihre Landwirtschaft aufgeben. Die wirtschaftlichen und damit oft einhergehenden psychischen Belastungen sind nicht von der Hand zu weisen. Hinzu kommt eine höhere Suizidrate bei Landwirt*innen als in allen anderen Berufsgruppen. Doch die jahrzehntelangen Verfehlungen in der agrarpolitischen Subventionspolitik lassen sich nicht von heute auf Morgen umkehren.
In der Agrarpolitik gibt es viele Baustellen, die auch in größeren Bündnissen auf die Straße und an die Politik ohne rechtes und demokratiefeindliches Gedankengut gerichtet werden kann, wie die jährlich stattfindende „Wir haben es satt“-Demonstration zeigt.
Auch die junge Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (jAbL) unterstreicht in einem viralen Video auf Instagram: „Wenn man jetzt ruft ‚die Ampel muss weg‘, lenkt das nur ab von den letzten Jahrzehnten miserabler Agrarpolitik. […] Wir stehen hinter bäuerlichen Protesten und müssen derzeit mit zusehen wie unsere Not von rechts instrumentalisiert wird.“
Ähnlich positioniert sich auch der Bundesverband der Landjugend in ihrer Stellungnahme „Ja zu bäuerlichem Protest, Nein zu rechter Hetze“. Ulf Balmer von der MBR stellt fest: „In Dresden ist es am Mittwoch, den 10. Januar, auf einer Kundgebung des sächsischen Bauernverbandes gelungen, erkennbar Rechtsextreme auszuschließen. Mindestens das müsste der Deutsche Bauernverband bei seiner angekündigten Demonstration zum Abschluss der Aktionswoche am 15. Januar in Berlin auch schaffen.“
Auf der einen Seite sind die Mobilisierungsthemen austauschbar für rechtsextreme Mobilisierung, auf der anderen Seite erklärt Robin Bell, Referent*in bei FARN im Gespräch mit Belltower.News: „Prinzipiell ist das Thema Landwirtschaft für Rechte nicht uninteressant. ‚Der Landwirt‘ stellt eine willkommene Projektionsfläche für das ideologisch aufgeladene ‚Ursprüngliche‘ und völkisches Gedankengut dar.“ Diese offene Flanke gilt es zu schließen. Doch dafür sind auch die Bäuer*innen gefragt.