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Interview

Das versuchte Pogrom von Mannheim-Schönau: Keine Erinnerung aus Imagegründen

Ein Blick in den Mannheimer Stadtteil Schönau. Die Kaserne an anderer Stelle ist abgerissen, dort steht heute ein Supermarkt. Foto: Frank-m (CC BY-SA 2.5)

Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda und Mölln – die Ausschreitungen, über die im Rahmen der „Baseballschlägerjahre“ knapp 30 Jahre später wieder gesprochen wird, sind vielen Menschen in Deutschland ein Begriff. Das versuchte Pogrom in Mannheim-Schönau dagegen ist beinahe unbekannt – auch durch Bemühungen von Politik und Medien, keine große Aufmerksamkeit zuzulassen.

 

Matthias Möller Portrait
Foto: privat

Dr. Matthias Möller, Kulturwissenschaftler und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg hat sich intensiv mit den Hintergründen der rassistischen Ausschreitungen in Mannheim-Schönau und unterschiedlichen Konfliktdarstellungen verschiedener Akteur*innen befasst. Er erklärt im Hinterview den Hintergrund der tagelangen Ausschreitungen und führt aus, warum sie im kollektiven Gedächtnis ein blinder Fleck sind.

 

Zum Hintergrund: Die Ausschreitungen in Mannheim-Schönau 

Die gewaltsamen Angriffe auf die Geflüchtetenunterkunft in Mannheim-Schönau ziehen sich über mehrere Tage. Bereits am 26. und 27. Mai 1992 versucht ein Mob mit Steinen und Stöcken bewaffnet die alte Kaserne zu stürmen, in der damals etwa 200 Geflüchtete untergebracht sind. Am 28.05.1992, an Christi Himmelfahrt / Vatertag, erreichen die Ausschreitungen in Mannheim-Schönau ihren Höhepunkt. Auf dem „Waldfest“ wird das falsche Gerücht verbreitet, ein Bewohner der Unterkunft hätte ein 16-jähriges Mädchen vergewaltigt. Die bereits zuvor aufgeladene, aggressive Stimmung eskaliert: Nach ausgiebigem Feiern greift ein Mob von bis zu 500 Personen die Unterkunft im Stadtteil Schönau an. Unter Rufen von rassistischen Parolen fliegen Steine und Flaschen. Ungefähr 100 der angreifenden Personen schätzte die Polizei damals als besonders gewaltbereit ein. Anders als in Hoyerswerda oder Lichtenhagen ist die Polizei vergleichsweise schnell vor Ort und kann zumindest einen Sturm auf das Gebäude verhindern. Trotzdem versammelt sich die rassistische Menge mehr als eine Woche lang Abend für Abend weiter vor der Unterkunft. Die großteils aus Kriegsgebieten geflüchteten Bewohner*innen müssen währenddessen in Angst um ihr Leben ausharren.  

Herr Möller, Sie haben sich intensiv mit dem versuchten Pogrom von Mannheim-Schönau auseinandergesetzt und auch ein Buch dazu geschrieben. Wie war die Stimmung damals in Mannheim? Hat sich der Übergriff angebahnt? 

In Mannheim herrschte, wie in ganz Deutschland, eine rassistische Grundstimmung. In der Eskalation der Ausschreitungen kommen verschiedene Dynamiken zusammen. Mannheim-Schönau ist ein klassischer Arbeiter*innenstadtteil. In den frühen 1990er Jahren gab es dort soziale Probleme, entstehend aus der Deindustrialisierung in Stadt und Region. Dazu gab es Diskussionen, wie die ehemalige Kaserne, die leer stand nachdem die amerikanische Armee abzog, genutzt werden könnte. Die Anwohnenden hofften, das Gebäude könnte Raum für soziale Anlaufstellen oder Jugendräume bieten, stattdessen wurde das Gebäude als Geflüchtetenunterkunft genutzt. Zum Unmut vieler Anwohner*innen. In die soziale Auseinandersetzung eines benachteiligten Arbeiter*innenstadtteils, der jahrelang sozialdemokratisch geprägt war, mischte sich Rassismus – gesellschaftliche, sozialpolitische Themen wurden vermengt mit rassistischen Argumentationen – und andersherum. Dazu kam die Debatte um Asyl, in der vielfach rassistische Narrative reproduziert wurden. Überspitzt könnte man sagen, es war ein Aufschrei der Bewohner*innen von Mannheim-Schönau mit dem Gedanken: „Wenn ihr unsere sozialen Probleme nicht wahrnehmt, dann greifen wir die Asylbewerber:innen an.“

Dass es dann zu den tagelangen Ausschreitungen kam, ist vermutlich eine Mischung aus vielen Gegebenheiten. Viele Menschen kamen an dem Tag auf dem Waldfest zusammen, auf dem große Mengen Alkohol flossen. Dazu kam das falsche Vergewaltigungsgerücht, dass die rassistische und aggressive Grundstimmung noch anheizte. Daran kann man auch gut erkennen, dass sich rassistische Narrative bis heute wenig ändern. Der Umgang mit sozialen Problemen und resultierender Rassismus zeigt, wie sich rechte Gedanken in traditionellen, sozialdemokratischen Arbeiter*innenmilieus verbreiten. Die gesellschaftliche Situation in Mannheim-Schönau kann als frühes Anzeichen dafür gesehen werden, was 25 Jahre später mit der AfD erneut aufkommt.

Gab es in Schönau eine aktive Neonaziszene, die zu den Ausschreitungen mobilisiert hat?

Natürlich gab es zu der Zeit auch in Mannheim eine rechtsextreme Szene. Sie war aber meinen Recherchen nach nicht Teil der Angriffe und hat auch nicht versucht, Bürger*innen zu mobilisieren. Da liegt auch der Unterschied zu den Pogromen in Rostock-Lichtenhagen oder Hoyerswerda, wo organisierte Neonazis explizit zu den Ausschreitungen mobilisiert haben. In Mannheim-Schönau schritt die benachbarte Wohnbevölkerung zur Aktion. Dass große Teile der Stadtgemeinschaft dies nicht wahrnehmen wollten, zeigt deutlich die rassistische Normalität einer westdeutschen Großstadt Anfang der 1990er Jahre.

Wie reagierte die Stadtgesellschaft auf die Ausschreitungen? Gab es Gegenproteste oder Solidarität mit den Bewohner*innen der Kaserne?

Es gab tatsächlich eine sehr schnelle Gegenmobilisierung. Einige in Mannheim und darüber hinaus haben sich mit den Angegriffenen solidarisiert. Außerdem gab es in den Tagen und Wochen nach dem 28. Mai eine Reihe antirassistischer Gegenproteste. Linke, antifaschistische und antirassistische Gruppen riefen zum Widerstand auf. Interessant ist, wie diese von offizieller Seite kriminalisiert wurden. Anstatt sich mit den rassistischen Ausschreitungen gegen die Geflüchteten auseinanderzusetzen, galt ein Großteil der Aufmerksamkeit von offizieller Seite den Gegendemonstrant*innen. So war die Rede von „reisenden Chaoten“ und Autonomen aus Frankfurt, die für gewaltsamen Gegenprotest nach Mannheim anreisen, der Bürgermeister warnte in dem Zusammenhang vor „auswärtigen Störern“. Eine im Vorfeld verbotene Demonstration am 6. Juni wurde dann von der Polizei brutal zerschlagen – in Folge vermischen sich die Erzählungen bis heute, wenn von einem „harten Durchgreifen der Polizei“ die Rede ist. Wenn über das versuchte Pogrom gesprochen wird, ist oft nicht klar, wer sich damals austoben durfte und gegen wen tatsächlich vorgegangen wurde. Dadurch, dass die Gegendemonstrationen so sehr diskutiert wurden, und zum Beispiel von der Polizei aufgebauscht wurden, sind die Ausschreitungen auf das Geflüchtetenheim noch weiter in den Hintergrund gerückt. Die Debatte wurde so von „die normale Bevölkerung greift eine Unterkunft an“ auf das Thema „Aktivist*innen gegen Polizeigewalt“ verschoben.

Welche Konsequenzen gab es damals für die Täter*innen? 

Tatsächliche Konsequenzen gab es so gesehen keine. Die Polizei griff zwar ein und nahm mehr als 100 Personen in Gewahrsam, es wurden aber nur wenige Ermittlungsverfahren eingeleitet. Diese wurden aber wieder eingestellt. Selbst Angriffe auf Polizeibeamt*innen wurden nicht geahndet. Die Polizei hat zwar, anders als in Lichtenhagen, weitere Ausschreitungen verhindert, sie zeigte aber trotzdem eine große Nähe zur Schönauer Bevölkerung. Gegen die rassistischen Angreifer*innen wurde nicht weiter polizeilich vorgegangen. In einem Fall wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, das dann aber gegen Arbeitsstunden wieder eingestellt wurde. Auch das baden-württembergische Innenministerium hatte sich im Nachhinein eingeschaltet, weil Straftaten hier nicht verfolgt worden waren.  Während die Polizei auf der Straße den Vollzug eines Pogroms verhinderte, spricht diese Verstrickung staatlicher Stellen deutlich für den pogromhaften Charakter der Ereignisse.

Wie wurde Rechtsextremismus und rechte Gewalt allgemein zu Beginn der 1990er diskutiert? 

Rechtsextremismus und rechte Gewalt wurden damals bundesweit als Problem vor allem in die ostdeutschen Bundesländer verschoben. Rechte Gewalt wurde unter dem Narrativ der „Modernisierungsverlierer aus den neuen Bundesländern, die zu den Baseballschlägern greifen“ diskutiert. Diese Erzählung griff natürlich damals schon zu kurz. Rechte Gewalt wurde vorherrschend als Produkt sozialer Benachteiligung diskutiert. Es gab aber auch damals schon Kritik an dieser Erzählung. Sie sah rechte Gewalt als Problem einer Dominanzkultur, in der es nicht um Deprivilegierung, sondern um Machtausübung ging.

Die Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda oder Mölln sind im kollektiven Gedächtnis verankert – viele Menschen haben Bilder im Kopf, Begriffe wie „Das Sonnenblumenhaus“ stehen stellvertretend für rassistische Gewalt in den 1990er Jahren. Wie kann es sein, dass Mannheim-Schönau so unter dem Radar der öffentlichen Erinnerung läuft und Ausschreitungen dieses Ausmaßes kaum Aufmerksamkeit bekommen? 

Die einfache Antwort ist: Weil man es so wollte und die Personen, die es wollten, auch die Macht hatten, dass nicht daran erinnert wurde. Die Stadtverwaltung, Polizei und die Zeitung Mannheimer Morgen haben zusammengearbeitet, damit Mannheim nicht in den Kontext rechtsextremer Gewalt, wie zum Beispiel Hoyerswerda fällt. Die gewalttätigen Ausschreitungen wurden von Polizei, Politiker*innen und den Medien heruntergespielt und bagatellisiert. Stattdessen wurden die Gegenproteste aufgebauscht und instrumentalisiert. Im Mannheimer Morgen, der größten Tageszeitung in Mannheim, war im Nachhinein die Rede von den Angreifern als „angetrunkene Krakeeler“, „Radaubrüder“ oder „Burschen“. Zu den lokalen Bemühungen kommt, dass über Mannheim hinaus das Problem der rechten Gewalt gerne ausschließlich auf die ostdeutschen Bundesländer begrenzt wird. Es wurde also einerseits in Mannheim bewusst versucht, die Ausschreitungen zu vergessen, andererseits kam auch von außen wenig Impuls, das Thema rechte Gewalt in Westdeutschland sichtbar zu machen. Dazu kommt dann auch noch, dass Mannheim-Schönau im Nachhinein von Ereignissen wie in Rostock-Lichtenhagen, die viel breiter diskutiert wurden, überschattet wurde.

Wie bewerten Sie die Auseinandersetzung mit dem versuchten Pogrom heute? Findet 30 Jahre später eine kritische Auseinandersetzung statt?

Zum 30. Jahrestag wollte die Tageszeitung ihre damalige Berichterstattung kritisch aufarbeiten. Das wäre ein gutes Statement gewesen, besonders, weil rassistische Narrative in den Medien der 1990er leider keine Seltenheit waren. Anstatt aber das eigene Rassismusproblem kritisch zu beleuchten, wurde sich auf die „falsche oder zu negative Darstellung“ von Schönau als „Stadtteil mit Problemen“ konzentriert. Die Chance, mit einem guten Beispiel voranzugehen und eine kritische Einordnung der Diffamierung der Geflüchteten zu liefern, wurde an der Stelle leider verpasst.

Wie sieht es heute in Mannheim-Schönau aus? Erinnert etwas an die gewalttätigen Ausschreitungen von 1992?

Die alte Kaserne, das älteste Gebäude von Schönau, wurde mittlerweile abgerissen – es wurde dafür gesorgt, dass der „Makel in der Geschichte der Stadt“ nicht mehr sichtbar ist. Auch heute ist das versuchte Pogrom kein präsenter Teil in der Geschichte der Stadt. Wo damals die Geflüchtetenunterkunft stand, steht heute ein Supermarkt. Lediglich der Rest einer Mauer mit Stacheldraht erinnert noch an die früheren Nutzungen. Innerhalb der Stadt gibt es immer noch keine Gedenkstätte oder ähnliches, dass an die Geschehnisse von damals erinnert. Zu sagen, es gäbe keinerlei Gedenken, wäre aber verkürzt. Die Ereignisse schlummern immer noch im kollektiven Gedächtnis und es gibt seit vielen Jahren Initiativen und Akteur*innen in Mannheim, die sich gegen das Vergessen einsetzen. Aber es ist selbstverständlich ein Kampf um Erinnerung, wie überall. Es gibt Bemühungen, eine Erinnerung zu etablieren, zum Beispiel vom Theater, von Jugend- und Bildungseinrichtungen, von antifaschistischen und antirassistischen Initiativen – die sind da natürlich auch sehr politisch. Aber das ist bis heute nicht ausreichend, um den Ereignissen den angemessenen Stellenwert zu geben.

Das Interview führte Anna König

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