Rechtsextreme Akteur*innen zielen auf eine gesamtgesellschaftliche Normalisierung ihrer Ideologie und ihrer Themen im Superwahljahr 2024 ab, sei es via Tiktok oder vor Ort auf kommunaler Ebene. Die Mittel dafür sind identitäre und emotionalisierende Angebote, wiederholte Tabubrüche, eine aggressive Rhetorik sowie gezielte Medien- und Diskursstrategien, aber auch ein instrumenteller Umgang oder eine rassistische Umdeutung progressiver Themen. Dabei spielen geschlechter- und familienpolitische Vorstellungen und vor allem die Adressierung von Männlichkeit eine große Rolle. Propagierte traditionelle Geschlechterbilder sind für die extreme Rechte ein wichtiges Mittel, um Menschen bis weit in die sogenannte „Mitte der Gesellschaft“ hinein zu erreichen und zu radikalisieren. In den letzten Jahren mischt sich ein latenter Antifeminismus darunter, in dem sich sexistische, misogyne und familistische Bestandteile zu einem komplexeren Ideologie-Angebot verbinden.
In der, in den letzten Jahren erfolgreichen rechtsextremen AfD, sind und waren Frauen wie Alice Weidel oder Frauke Petry hier durch ihre Führungspositionen noch einmal deutlich präsenter und präg(t)en die Außenwahrnehmung der Partei nach wie vor. Auch haben Geschlechterthemen in Politik und Provokationen der AfD im selbst stilisierten „Kulturkampf“ gegen „Gender“ und den darin gezeichneten Feindbildern eine offenkundig hohe Relevanz. Spezifische geschlechter- und familienpolitischen Zielsetzungen und Positionen, die oftmals vor allem einen antifeministischen“Backlash“ bedeuten, gehören zum „Markenkern“ der AfD.
Die AfD will das Zusammenleben in Familien funktionalisieren, gegen den (demografischen) „Trend zur Selbstabschaffung“ Deutschlands. Es geht der Partei um eine „aktivierende Familienpolitik“: Es sollen mehr Kinder geboren werden und mehr Sorge- und Pflege-Leistungen unentgeltlich in der Familie erbracht werden. Dafür setzt die AfD hierfür auf klassische Rollenbilder, eine Bevorzugung der heterosexuellen Ehe und der Familie aus Vater, Mutter und Kindern sowie auf massive Beschneidungen des ohnehin eingeschränkten Rechts auf Schwangerschaftsabbruch. Wenig verwunderlich, wo die AfD im Programm zur Europawahl ihre Feindbilder sieht: in der sogenannte „Gender-Ideologie“, bei sexualpädagogisches Präventions- und Bildungsangeboten und bei Trans-Menschen.
Männlichkeit ist nach wie vor ein zentraler Wert innerhalb der extremen Rechten. Diese diagnostiziert eine Krise – was den „Fortbestand des Volkes“ gefährde. Es gelte, die Männlichkeit zurückzugewinnen und damit zurück zur Wehrhaftigkeit zu finden. Die extreme Rechte unterbreitet entsprechende Angebote, die in Straßenprotesten und Demonstrationen gegen Geflüchtete mobilisiert werden, aber auch im Kontext der Wahlen relevant sind.
Maximilian Krah, der Europawahl-Spitzenkandidat der AfD spricht beispielsweise über seinen TikTok-Kanal gezielt männliche Jugendliche an und erteilt Ratschläge wie echte Männer seien rechts, „dann klappt‘s auch mit der Freundin“. Solche Versprechungen der Wiedererlangung (echter) Männlichkeit finden sich in Verlautbarungen der extremen Rechten in unterschiedlicher Ausformulierung. Krah ist Spitzenkandidat für die AfD für die Europawahl. Obwohl Krahs Reichweite bei TikTok aufgrund von Richtlinienverstößen gedrosselt wurde, macht der AfD-Politiker hier reichlich Werbung für die Inhalte und Forderungen der AfD zur Europawahl. Männlickeit wird zum zentralen Mittel, um für rechtsextreme Parteien zu werben.
Aber auch ein gesonderter Blick auf weibliche Akteurinnen unumgänglich, um Wirkmacht und Anschlussfähigkeit der extremen Rechten zu verstehen und erfolgreich entgegenzutreten. Frauen aus und dem Umfeld der AfD und der Identitären Bewegung versuchen dabei einen „Feminismus von rechts“ zu (er)finden, wozu sog. „Alternative Frauenkongresse“ im Bundestag aber auch im Europaparlament zeigen. Mittels Begriffspiraterien und Diskursverschiebungen sowie rassistische Framings wird versucht an öffentliche Diskurse zu Feminismus und Geschlechtergerechtigkeit anzudocken und diese Diskurse zu verschieben.
Christine Anderson, „die in Brüssel ihren Mann steht“ – Listenplatz 3 zur Europawahl, gibt sich als Hardlinerin: Frauen seien auf deutschen Straßen Freiwild und es drohe „vermutlich der Umbau zum islamischen Land“.[1] Vor zwei Jahren sprach sie auf einer Veranstaltung „Feminismus von rechts“ im Europaparlament – gemeinsam mit Reinhild Boßdorf (JA, früher IB) von der extrem rechten Fraueninitiative Lukreta. Deren Mutter Irmhild Boßdorf (Listenplatz 9) gibt sich hingegen vertrauenswürdige Mutter und Hüterin tradierter Werte. Gleichzeitig forderte sie in ihrer Rede bei der Europawahlversammlung der AfD 2023 in Magdeburg eine „millionenfache Remigration“ und sagte, die Deutschen sollten den „menschengemachten Bevölkerungswandel“ fürchten.[2] Die AfD-Politikerin Anderson hat wie Krah eine enorme Reichweite in den sozialen Netzwerken. Bei X (Twitter) folgen ihr 318.000 Follower.
Insgesamt ist der gesellschaftliche Resonanzraum für extreme Rechte in den letzten Jahren größer geworden, wir sprechen dabei von einer Normalisierung und gleichzeitiger Verharmlosung rechtsextremer Positionen und Vorstellungen. Das hängt auch mit den Möglichkeiten und Logiken der Sozialen Medien zusammen. Vor allem auch extrem rechte Frauen nutzen als Neonazi-Influencerinnen, intellektuelle YouTuberinnen oder vermeintlich unpolitische „Insta-Moms“ geschickt Social-Media-Plattformen, um ihre menschenfeindliche Ideologie zu verbreiten. Dabei inszenieren sie sich als harmlose, aber effektive Trägerinnen der extrem rechten Propaganda.
Die Publikation „(R)echte Männer und Frauen. Analysen zu Geschlecht und Rechtsextremismus“ richtet einen kritischen und umfangreichen Blick auf diese gefährlichen Phänomene. Diese Publikation analysiert damit verbundene Akteur*innen und aktuelle Entwicklungen. Damit wollen wir ein umfassendes Verständnis für sich daraus ableitende spezifische Herausforderungen geben und konkrete Wege aufzeigen, wie zivilgesellschaftliche Akteur*innen handeln und unterstützt werden können.
[1] https://www.tagesschau.de/inland/regional/hessen/hr-europawahl-hessische-afd-spitzenkandidatin-christine-anderson-im-portraet-100.html
[2] https://www.sueddeutsche.de/politik/europawahlversammlung-kandidatin-punktet-bei-afd-mit-schlagwort-der-identitaeren-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-230730-99-612213