Mit dem seit Jahren steigenden Rechtsextremismus geht auch ein stark gestiegenes Selbstvertrauen der extremen Rechten einher. Diese äußert sich auch in stark gestiegenen Angriffen auf die demokratische Zivilgesellschaft. Die demokratische Zivilgesellschaft, die sich beruflich oder aktivistisch gegen Rechtsextremismus engagieren, stehen unmittelbar und zumeist wenig geschützt an der Front und gehen mit ihrem Engagement ein besonderes persönliches Risiko ein. Angriffe und Bedrohungslagen gegen Engagierte zeigen sich auf vielfältige Art und Weise. Der Druck auf die demokratische Zivilgesellschaft und alle die in diesem Feld Aktiven ist existenziell. Wir haben es sowohl mit strategischen Angriffen auf Träger, Vereine und Bündnisse zu tun, als auch mit spontanen Gewaltausübungen gegen Engagierte.
Die Strategie von rechtsextremen Akteuren – wie der AfD und weiterer aus dem klassisch rechtsextremem und neurechteren Spektrum – ist es, die Demokratiearbeit der Zivilgesellschaft vollends abzuschaffen.
Das Projekt BEWARE: Bedrohte Demokratieprojekte wappnen und resilient machen hat im Zeitraum von Juli bis Dezember 2023 bundesweit zwanzig Personen aus der beruflichen und aktivistischen Demokratiearbeit gegen Rechtsextremismus zu ihren Wahrnehmungen, Einordnungen und Bearbeitungen von Bedrohungen befragt. Darauf aufbauend hat BEWARE im April 2024 eine quantitative Online-Befragung durchgeführt, an der über 500 Personen teilgenommen haben, die sich in zivilgesellschaftlichen Projekten, Gruppierungen oder Bürgerbündnissen für die Demokratie engagieren. Die Amadeu Antonio Stiftung ist Kooperationspartner von Beware und hat aufbauend auf den Ergebnissen der qualitativen und quantitativen Befragung an einem Planspiel und einer Begleitbroschüre wesentlich mitgewirkt. Das Planspiel samt Begleitbroschüre soll Trägern und Aktivist*innen der Demokratiearbeit proaktiv helfen mit zu erwartenden Angriffen umzugehen, notwendige Vorkehrungen zu treffen oder im Idealfall mögliche Angriffspunkte zu vermeiden.
Dimensionen der Bedrohung
Aus den Befragungen von Beware ergeben sich vier wesentliche Formen der Bedrohung:
- Gewaltbezogene Angriffe und Bedrohungen umfassen sowohl strafrechtlich relevante (wie Beleidigungen, Drohungen, Sachbeschädigungen oder körperliche Gewalt) als auch strafrechtlich nicht relevante Vorfälle (wie Raumnahmen oder Störungen von Veranstaltungen).
- Politische Interventionen zielen direkt oder indirekt darauf ab, Akteure, Prozesse oder die Demokratiearbeit an sich zu behindern oder zu verunmöglichen und damit eine grundlegende Veränderung politischer Strukturen herbeizuführen. Es werden insbesondere parlamentarische Anfragen zu Förderprogrammen zur finanziellen Unterstützung von Projekten und Organisationen, Zielgruppen, Trägern und Mitarbeiter*innen der Demokratiearbeit genutzt. Auch juristische Mittel, wiez.B. Anzeigen von Personen oder zur Einleitung einer Gemeinnützigkeitsüberprüfung, und politische Markierungen – z.B. als „linksextrem“ oder „Störenfried“ – in Veröffentlichungen oder Social Media-Postings richten sich gezielt gegen die Zivilgesellschaft.
- Gesellschaftspolitisches Bedrohungsszenario beschreibt die Wahrnehmung eines Erstarkens von rechtsextremen Diskursen und Akteuren bei gleichzeitigem Fehlen von gesellschaftspolitischer Solidarisierung. Auch dies wird von Engagierten als eine Bedrohungskulisse empfunden, die für Unsicherheiten sorgt. Besonders dort, wo die Rahmenbedingungen der Demokratiearbeit ohnehin als instabil bewertet werden, sehen sich Engagierte allein gelassen.
- Bedrohungserwartungen können sich auf alle bisher benannten Aspekte von Bedrohungserleben beziehen und schließen sowohl die Angst, betroffen zu werden, als auch die Sorge vor potenziellen Folgen mit ein. Engagierte befürchten und erleben, dass Angriffe auf die Demokratiearbeit als Handlungsfeld letztlich auch Auswirkungen auf ihre konkrete Arbeit vor Ort haben können.
Was braucht es für einen gelungenen Umgang mit Bedrohungen?
Die Zivilgesellschaft darf von staatlichen Stellen mit dem Problem der Bedrohungen und Angriffe nicht allein gelassen werden. Aus der Befragung haben sich sechs Hebel ergeben, mit denen staatliche Stellen die Zivilgesellschaft unterstützen sollten:
- Anerkennung und Aufarbeitung rechtsextremer Gewalt
- Handlungsfreiheit und Finanzierung
- Solidarität und öffentlich Positionierung
- Vertrauen in Sicherheitsbehörden
- Sichere und zugängliche Finanzierung
- Lokales Wissen anerkennen und einbinden
Drei Viertel der Engagierten erlebt Bedrohung
Die Projektergebnisse von „BEWARE: Bedrohte Demokratieprojekte wappnen und resilient machen“ zeigen: 79 % der Befragten haben bereits (ggf. strafrechtlich relevante Formen von) Bedrohungen erlebt, davon 56 % im letzten Jahr. 76 % der Personen erleben die zivilgesellschaftliche Demokratiearbeit als Handlungsfeld durch Rechtsextremismus als mindestens stark bedroht. Als Engagierte braucht es nicht nur die Unterstützung von staatlichen Stellen und der gesamten Gesellschaft – sondern auch eigene Strategien, um mit diesen Risiken umgehen zu können. Deutlich wird aber auch: Es gibt durchaus erfolgreiche Konzepte und positive Erfahrungen. Es lohnt sich daher in den gemeinsamen Austausch zu gehen und strategische Überlegungen zum Umgang mit Angriffen zu treffen.
Wichtig ist die Verstetigung der Strategien. Das entbindet die Gesellschaft und ihre unterschiedlichen Institutionen selbstverständlich nicht von der Verantwortung hinzuschauen, zuzuhören, sich zu positionieren und gemeinsam für gesellschaftliche Veränderungen einzutreten.
Strategien beinhalten auch, Räume für unterschiedliche Formen, von Betroffenheit und Bedarfe zu schaffen, Solidarität zu leben. Es gibt gute Beispiele, gelungene Kooperationen, Erfahrungen. Austauschräume müssen verstetigt werden, sie beugen Vereinzelung vor, können zur Verbreitung von Best Practice Beispielen dienen, haben Signalwirkung und ermöglichen gemeinsames Handeln.
Der Beware-Kurzbericht zu Bedrohung der zivilgesellschaftlichen Demokratiearbeit kann hier heruntergeladen werden: https://wi-rex.de/wp-content/uploads/2024/09/BEWARE_Bedrohung_der_zivilgesellschaftlichen_Demokratiearbeit_Kurzbericht_20240903.pdf