Der Krieg Russlands gegen die Ukraine ist auch ein Informationskrieg um Deutungshoheit. Bedrohungslagen erzeugen und Feindbilder kreieren: Das sind die Kernanliegen Kreml-naher Desinformationskampagnen. Sie nutzen dafür unterschiedliche perfide Strategien.
Nicht immer fabrizieren sie komplette Falschmeldungen. Oft werden tatsächliche Ereignisse überspitzt dargestellt oder in ihrem Sinne umgedeutet. Einzelne Äußerungen werden aus dem Kontext gerissen oder verzerrt wiedergegeben. Desinformation funktioniert nach dem Schneeballprinzip: Einige geschickt platzierte Meldungen können eine Lawine ins Rollen bringen.
Schwarze PR/„Der faule Hering“
Bei dieser Methode werden gegen eine Person falsche und rufverletzende Anschuldigungen erhoben. Ziel ist nicht, diese Anschuldigungen zu beweisen, sondern die Diskussion um die Person zu verschieben. Diskutiert werden soll nur noch die Anschuldigung und nichts, was diese Person sagt oder tut. Der kürzlich in russischer Gefangenschaft verstorbene Regimekritiker Alexej Nawalny beispielsweise wurde durch zahlreiche Anklagen, Urteile und Haftstrafen zum Verbrecher, Betrüger und Extremisten gebrandmarkt. Die von ihm vertretenen Inhalte verloren in der öffentlichen Wahrnehmung an Bedeutung, die Anschuldigungen blieben über seinen Tod hinaus an ihm haften wie der schlechte Geruch eines faulen Herings.
Anekdotische Evidenz
Mit dieser Methode präsentiert die Propaganda einen Einzelfall als vermeintlichen Beweis für ihre Argumentation. Anfang April 2022 ging ein Video von einer alten Dame viral, die russische Soldaten im Osten der Ukraine mit einer roten Fahne in der Hand begrüßt. Die Frau wurde in allen Medien gezeigt, mittlerweile ziert sie viele Gemälde und hat sogar ein Denkmal. Die Propaganda nutzte dieses anekdotische Beispiel einer einzelnen Bewohnerin der Ostukraine, um zu “beweisen”, dass sich alle Menschen in der Ostukraine über die Ankunft russischer Besatzer*innen freuen würden.
Name-Calling
Bei dieser Methode nutzt die Propaganda diffamierende oder beleidigende Namen für Personen, ohne zu erklären, weshalb diese eigentlich so bezeichnet werden. Die von Putin so bezeichnete „Bande von Nazis und Drogenabhängigen“, die angeblich in Kyiv die Macht habe, dient als Beispiel dafür. Die russische Propaganda spricht im Zusammenhang mit ukrainischen Soldat*innen, Politiker*innen und Menschen oft von „Nazis“, ohne dafür Belege zu liefern oder zu erklären, warum.
Whataboutism
Eine beliebte Methode von Propaganda ist der abrupte Themenwechsel, um dann ausführlich zum neuen Thema zu argumentieren. Die Ansprache eines Problems oder ein Vorwurf wird mit einem Gegenvorwurf beantwortet, statt sich tatsächlich mit dem Inhalt zu befassen – oder sich selbst erklären zu müssen. Kritik*innen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine wird der Angriff der USA auf Kosovo oder Afghanistan entgegengehalten. Der Satzanfang „Aber was ist mit …!?“ ist namensgebend für diese Propagandatechnik.
Falsches Dilemma
Bei einem falschen Dilemma werden für ein Problem nur zwei Lösungen genannt, obwohl es eigentlich eine Vielzahl an weiteren möglichen Einschätzungen gibt. Eine der beiden Optionen wird diskreditiert, die andere erscheint als der einzig gangbare Weg. So ist es mit Russlands Angriffskrieg geschehen, als die Propaganda argumentierte: Wenn Russland die Ukraine nicht überfallen hätte, wäre Russland selbst angegriffen und zerstört worden. Um die eigenen Bürger*innen zu schützen, musste Russland dieser Argumentation zufolge die sogenannte “Spezialoperation” in der Ukraine beginnen.
Was tun?
Gerade im persönlichen Umfeld ist es wichtig, sich der Diskussion nicht zu verschließen. Wir müssen auf Desinformation aufmerksam machen sowie falsche und irreführende Informationen richtigstellen und widerlegen.
Kreml-nahe Propaganda stiftet in besonders hohem Maße Identität. Das kann zu einer emotionalen Bindung führen, die zu stark ist, dass Argumente und Faktenchecks helfen. Möglicherweise hilft ein Gespräch über die dahinter liegenden Wertvorstellungen und darüber, wie man sich die Welt jeweils wünscht und vorstellt.
Nimm dir Zeit und dein Gegenüber ernst. Auch wenn Argumentationen irrational oder unlogisch erscheinen: Versuche, die Beweggründe zu verstehen. Wenn du widersprichst, tu es in der Sache und nicht in der Emotion – vor allem nicht abwertend.