Wir unterstützen grundsätzlich das Gesetz zur Errichtung der Stiftung NSU-Dokumentationszentrum. Um den Erfolg und die Akzeptanz der Stiftung zu gewährleisten, möchten wir jedoch einige wichtige Anpassungen und Ergänzungen vorschlagen.
Die Amadeu Antonio Stiftung verfügt über umfangreiche Expertise in den Bereichen Aufarbeitung, Bildung und Unterstützung von Betroffenen. Durch ihre langjährige praktische wie wissenschaftliche Arbeit in diesen Bereichen hat die Stiftung wertvolle Erfahrungen im Umgang mit rechten, rassistischen und antisemitischen Taten und deren Auswirkungen auf die Betroffenen und die Gesellschaft gesammelt.
Das Projekt „Selbstbestimmt vernetzen, erinnern & bilden“ (SVEB) arbeitet seit 2023 direkt mit elf Betroffeneninitiativen zusammen und unterstützt das bundesweite Solidaritätsnetzwerk der Betroffeneninitiativen. Darüber hinaus wird das Projekt wissenschaftlich begleitet und im Zuge dessen werden die Maßnahmenevaluierrt – einschließlich einer Bedarfserhebung bei den Betroffenen, um ihre Perspektiven und Forderungen angemessen beachten. Diese Erfahrungen, die Kompetenz der Amadeu Antonio Stiftung und Ergebnisse sind entscheidend für die erfolgreiche Implementierung der Stiftung NSU-Dokumentationszentrum und die Erreichung der Ziele.
- Ort des Dokumentationszentrums
Wir unterstützen die Absicht, den Standort des Dokumentationszentrums wie in Absatz 2 Paragraph 1 vorgesehen in Berlin zu wählen. Aufgrund unserer langjährigen Zusammenarbeit mit Betroffenen wissen wir, welche Auswirkungen die Anreise zu Täterorten auf die Personen hat. Daher ist es wichtig, diesem Wunsch zu folgen. Es sei darauf hinzuweisen, dass auch bei dem Beschluss des finalen Standortes die Betroffenen mitgenommen werden sollten. Dennoch wäre ein Verbundsystem oder eine dezentrale Struktur (Mehrortigkeit) ergänzend sehr wünschenswert, um auch lokale Anstrengungen zu integrieren und keine Parallelstrukturen aufzubauen. Darüber hinaus möchten wir die Wertschätzung und Anerkennung für bereits bestehende Formen der Erinnerung und Gedenkarbeit einbringen, die von den Betroffenen und ihren Initiativen geleistet wurden.
- Erweiterung des Themenfeldes
Wie eingangs betont, unterstützt die Amadeu Antonio Stiftung die fachwissenschaftlich gebotene Einordnung der Taten des NSU-Komplexes in die lange Geschichte des Rechtsterrorismus und der Kontinuität rechter Gewalt nach 1945 nachdrücklich. Die Taten des sogenannten „NSU“ bilden kein isoliertes Kapitel deutscher Geschichte. Bereits in der Namensgebung für diese Terrorzelle scheinen die von den Täter:innen bewusst gewählten Bezüge zum historischen Nationalsozialismus auf. Darüber hinaus ordnen sich die Taten in die lange Geschichte des internationalen Rechtsterrorismus ein, den die zeithistorische Forschung in den letzten Jahren zunehmend bearbeitet hat.
Allerdings bleibt das Verhältnis des NSU-Komplexes zu anderen rechtsterroristischen Taten und rechter Gewalt in einem allgemeineren Sinn gegenwärtig noch ungeklärt und in der Wahrnehmung der Gesamtgesellschaft noch nicht in der Kontinuität verortet. Es braucht daher eine deutliche Zusage zur Analyse des gesamten Zeitraumes nach 1945, einer Analyse der Entwicklungen Formen und Vernetzungen sowie auf einer Meta-Ebene der mangelnden Aufarbeitung bis heute.
Mit Blick auf die Betroffenen lässt sich schon heute feststellen, dass es vor 1990 wenig vorhandenes Wissen gibt und eklatante Leerstellen in der Forschungs- und Gedenklandschaft gibt. Und auch für den späteren Zeitraum ab 1990: Insbesondere haben wir 220 Fälle von Todesopfern rechter Gewalt analysiert und festgestellt, dass es über 80 Personen gibt, denen überhaupt nicht gedacht wird. Dies verdeutlicht den dringenden Bedarf an weiterer Forschung und Recherche. Für eine umfassende Auseinandersetzung mit diesen Themen sollten sowohl zentrale als auch dezentrale Gedenkformen gefördert werden.
Die beschriebene Ausweitung wird derzeit nicht im Namen der Stiftung abgebildet. Außerdem verbinden sich mit der inhaltlichen Verbreiterung Fragen nach der vorgesehenen finanziellen Ausstattung der Stiftung. Denn für die Bearbeitung einer derart umfassend definierten Aufgabe erscheinen die veranschlagten finanziellen Mittel ungenügend. Unklar bleibt auch, welche Rolle das von der Bundesregierung vorangetriebene digitale „Archiv rechte Gewalt“ dabei spielt und ob es ebenfalls über das Budget beziehungsweise die Stiftung abgewickelt werden soll.
Das ungeklärte Verhältnis der Themenkomplexe NSU-Komplex, Rechtsterrorismus und rechte Gewalt durchzieht aus hiesiger Sicht den gesamten Entwurf und verursacht Inkonsistenzen – es gilt daher inhaltlich wie strukturell zu schauen, wie die Erweiterung umgesetzt werden soll.
Vor diesem Hintergrund empfiehlt sich beispielsweise auch eine Namensgebung für die zu errichtende Stiftung, die den NSU-Komplex angemessen berücksichtigt und gleichzeitig den deutlich breiteren Stiftungszweck adäquat abbildet.
Damit einhergehen sollte eine Ausweitung der Mittel, um der thematischen Breite Rechnung zu tragen. Um gesellschaftlichen Wandel zu erreichen, ist eine Auseinandersetzung mit der Kontinuität, den Strukturen, Mechanismen und auch internationalen Verbindungen notwendig. Die Betroffenen machen in ihrem Netzwerk deutlich, dass es keine Abgrenzung braucht; Themen wie Ausarbeitung, Aufklärung, Erinnerung und Bildung können viel besser in der Gesamtschau behandelt werden.
- Betroffenenperspektive, Anerkennung der bereits geleisteten Arbeit und Mitspracherecht
In der Problembeschreibung wird erläutert, dass die Aufarbeitung und die Erinnerung an den NSU eine Lücke in der Erinnerungslandschaft darstellen. Dies ist aus Bundesebene und aus staatlicher Perspektive korrekt, allerdings haben viele der Betroffenen seit Jahren am Erhalt des Wissens und für die Erinnerung gearbeitet und unschätzbare Ressourcen in diese Aufgabefelder investiert. Viele der Betroffenen mussten diese Lücke schließen, was ihre Erfahrung und ihre Perspektive umso wertvoller macht. Durch ihren Einsatz und ihre Expertise haben sie Formate geschaffen, die die Erinnerung schon seit langem wachhalten und auch besonders machen, weil sie einen erheblichen Beitrag zur politischen Bildung der Gesellschaft leisten. Sie haben neben Bildungsangeboten auch Gedenkorte und Archive geschaffen.
Durch die Etablierung eines Dokumentationszentrums sollte ihre Arbeit nicht nur wertgeschätzt, sondern auch, wenn gewollt, integriert oder gefördert werden. Der Ort an sich wird vermutlich für viele der Betroffenen eine Doppelbedeutung bekommen: Nicht nur wird es ein Ort des Wissens, der Aufarbeitung, der Trauer und der Vermittlung sein, sondern auch ein Ort der Mitsprache und des Empowerments. Sie sollten dort in der Form eines Beirates die Erfahrung machen, dass sie diesen Ort mitbestimmen können und ihr Wissen Gewicht hat. Vor diesem Hinetrgrund sollten, falls gewüsncht, Betroffene auch als poltische Bildner*innen angestellt werden können.
Diese Anmerkungen schlagen sich inhaltlich wie strukturell nieder. In der inhaltlichen Ausrichtung bedeutet dies, dass in der Aufarbeitung auch die Thematik der sekundären Viktimisierung behandelt werden muss.
Strukturell muss das Mitspracherecht gesichert sein und eine Form gefunden werden, dass auch ihre bestehenden Erinnerungsprojekte integriert oder gefördert werden können. Der aktuelle Entwurf sieht für die Beiräte bislang lediglich eine unterstützende Rolle vor. Aus unserer Sicht ist es jedoch unerlässlich, die Mitbestimmungsmöglichkeiten sowohl der Betroffenen als auch des wissenschaftlich-zivilgesellschaftlichen Beirats sowie von Kulturschaffenden deutlich zu stärken. Daher sollten die Aufgaben und Rechte der Beiräte im Gesetz klar definiert werden. Es sollte vorgesehen werden, dass jeder Beirat zwei Vertreterinnen und Vertreter in den Stiftungsrat entsenden kann.
Darüber hinaus sollte in der Gestaltung bedacht werden, dass es für die Betroffenen einen Versammlungs- oder sogar Rückzugsort gibt. Die Dimension, dass auch heute viele der Menschen noch von Diskriminierung und Abwertungsmechanismen, wie beispielsweise institutionellem Rassismus, betroffen sind, muss mitgedacht werden.
Schlussfolgerung
Insgesamt ist es unerlässlich, dass die Errichtung der Stiftung nicht nur die Erinnerung an die Opfer des NSU aufrechterhält, sondern der Themenkomplex erweitert und auch als Plattform für Bildung, Aufklärung und gesellschaftlichen Wandel dient. Die Stimmen der Betroffenen müssen gehört und (wenn gewünscht) in die Arbeit der Stiftung integriert werden. Wir glauben, dass durch die Umsetzung dieser Punkte eine bedeutende und nachhaltige Gedenk- und Aufarbeitungsarbeit geleistet werden kann.