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„Unser Ziel ist eine emanzipatorische Gesellschaft“ – Newsletter April 2021

In eigener Sache

Liebe Leserinnen und Leser,

 

es scheint sich nun herumgesprochen zu haben, dass Verschwörungsideologien bei Coronaleugnern und Querdenkern Zulauf haben, deren antisemitischer Charakter immer im Schlepptau. Diese Erkenntnis ist doch schon mal was. Deshalb hoffen wir, dass auch in Zukunft, wenn weitere Verschwörungsideologien auftauchen, wenigstens das klar ist. Und eines ist gewiss: es wird sie weiterhin geben.

 

Doch heute wollen wir den Blick in eine andere Richtung lenken, nämlich auf unsere Einwanderungsgesellschaft. In den letzten Jahrzehnten hat sich Deutschland verändert. Immer mehr Familien haben eine Einwanderungsgeschichte, wenigstens von einem Elternteil. Die Kinder unserer Zeit haben viele Backgrounds und sehen einander beim Aufwachsen in einem Land der Vielfalt zu. Ob die Politik oder Teile der Gesellschaft das nun gut finden oder nicht, es ist unsere Realität. Umso wichtiger wird der Artikel 3 des Grundgesetzes, meiner Meinung nach einer der wichtigsten überhaupt, der zwei Dinge besagt. Zum einen: Alle Menschen sind gleich vor dem Gesetz, Männer, Frauen und alle Minderheiten. Und zum anderen: Niemand darf wegen seines Geschlechts, seines Glaubens, seiner Behinderung oder Herkunft diskriminiert werden. Niemand. Gewiss, das ist längst nicht so. Aber das Grundgesetz schafft die Norm. So soll es sein, unumstößlich, und wir haben dafür zu sorgen, dass sich diese Norm auch erfüllt.

 

In der Einwanderungsgesellschaft entsteht etwas, das zunächst wie ein Dilemma wirkt: Auf der einen Seite müssen Minderheiten, Menschen mit Migrationsgeschichte, sichtbare Minoritäten unter allen Umständen vor Diskriminierung oder Rassismus geschützt werden. Dazu gibt es keine Alternative. Auf der anderen Seite gilt dieses Gebot auch für die Minderheitengruppen selbst und nicht nur für die weiße Mehrheitsgesellschaft. Eigentlich ist das logisch und selbstverständlich, und eigentlich besteht deswegen auch gar kein Dilemma. Dennoch sieht die Praxis hier nicht so gut aus. Aus Furcht davor, einen Rassismusvorwurf zu ernten, ignorieren viele, die Rassismus bekämpfen, die Erfahrungen von Bedrohung und Unterdrückung innerhalb von Minderheiten.

 

Bei der Amadeu Antonio Stiftung beschäftigen wir uns mit dem türkischen Rechtsextremismus, dem sanft daherkommenden legalistischen Islamismus und allem, was an Frauenverachtung, Antisemitismus und Rassismus dazu gehört. Im Alltag hat sich inzwischen herumgesprochen, dass die Türkei ein autoritärer Staat ist, der Minderheiten verfolgt und mit islamistischen Bewegungen sympathisiert. Seine Religionspolitik und seine Frauenpolitik sind rückwärtsgewandt. Das konnten wir gerade sehen, als die Türkei beschloss, aus der Istanbulkonvention auszutreten, die unter anderem Gewalt gegen Frauen in der Ehe verbietet. Ein solches Verbot aufzuheben bedeutet ein Signal eben für solche Gewalt zu setzen.

 

Auch Eingewanderte können diskriminieren. Es gibt sexistische Juden, schwulenhassende Roma, antisemitische Schwule oder rassistische Türken. Klar, so sind die Menschen. Ihr Minderheitenstatus hält sie davon nicht ab. Und ebenfalls klar ist, dass Deutschland ein riesiges Problem mit Rassismus hat. Aber sollen wir deshalb anti-Schwarzen Rassismus, Frauenhass, Antisemitismus, antimuslimischen Rassismus, Homo- und Transfeindlichkeit, und all die anderen Formen von Menschenverachtung ignorieren, weil sie von Menschen mit Migrationsgeschichte ausgehen? Nein. Und um dies voneinander trennen zu können, ist es wichtig, dass wir uns klarmachen, welche Art Gesellschaft wir wollen. Mein Ziel jedenfalls ist eine emanzipatorische Gesellschaft, ohne Diskriminierung.

 

Sich daran zu orientieren ermöglicht, auch dort klar zu sein, wo es vermeintlich schwierig ist. Wie überall sind auch unter Menschen mit Migrationsgeschichte die Widerstände groß. So wie überall. Auch hier gibt es politische Interessen oder das Beharren auf Privilegien, wegen der Hautfarbe, der Religion oder des Geschlechts.

 

Unsere Aufgabe ist, die progressiven Kräfte in den Communities zu unterstützen, die hier seit Jahren kämpfen. Es geht um Emanzipation und das ist gerade in Deutschland schwer, wo sich der Blick auf die Einwanderungsgesellschaft im Wesentlichen auf ein Dafür und ein Dagegen beschränkt. Das zu diskutieren bringt nicht voran. Misogynie, Antisemitismus, Rassismus, Fundamentalismus, Homo- und Transfeindlichkeit – das sind die Fragen unserer Zeit. Für uns alle.

 

Herzliche Grüße

Ihre Anetta Kahane

Anetta Kahane. Foto: © Peter van Heesen

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