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„Wir haben ein Recht auf Heilung“ – Betroffene rechter Gewalt formulieren Forderungen auf Fachtag

Said Etris Hashemi ist von dem rechtsextremen Terroranschlag am 19.02.2020 in Hanau direkt betroffen. Er verlor bei dem Anschlag seinen jüngeren Bruder Said Nesar und viele seiner Kindheitsfreunde. Er selbst überlebte den rassistisch motivierten Anschlag mit mehreren Schusswunden nur schwerverletzt. Foto: Kira Ayyadi

Erstmalig fand am 15. November 2024 in Berlin der Fachtag „Opferschutz und Opferhilfe“ statt. Es geht hier nicht nur um die Erfahrungen Überlebender rechter Gewalt, sondern um ihre Expertise und ganz konkrete Forderungen an die Politik – besonders beim Gesetz zur Opferentschädigung, SGB XIV.

„Das heute ist ein einmaliger Moment, den es so noch nie gab, nutzen wir ihn, um wichtige Veränderungen anzustoßen“, sagt Said Etris Hashemi am Freitagmorgen im Berliner Haus der Kulturen der Welt. Er überlebte 2020 schwerverletzt die rechtsextreme Terrortat von Hanau. Sein jüngerer Bruder und viele seiner Kindheitsfreunde überlebten den Anschlag nicht. Hashemi ist einer der vielen Überlebenden und Betroffenen rechter Gewalt, die an diesem Tag sprechen. Am 15. November fand in Berlin der erste Fachtag „Opferschutz und Opferhilfe“ aus der Perspektive von Betroffenen statt. Heute sei ein besonderer Tag für Betroffene, der sich, so Hashemi, anfühle wie ein kleiner Erfolg. „Nutzen wir ihn, um wichtige Veränderungen anzustoßen“. Und dass sich etwas verändern muss, wird schnell deutlich, wenn man den Betroffenen zuhört. Sie erzählen, wie sie von deutschen Behörden von Opfern zu Tätern gemacht, retraumatisiert und teils nach den rechtsextremen Anschlägen sogar abgeschoben wurden.

Überlebende bringen hier ihre Expertise ein, damit ihre Perspektiven stärker in Entscheidungsprozesse einfließen. V.l.n.r.: Izabela Tiberiade, Christina Feist, Said Etris Hashemi Gamze Kubaşık; Quelle: Kira Ayyadi
Überlebende bringen hier ihre Expertise ein, damit ihre Perspektiven stärker in Entscheidungsprozesse einfließen. V.l.n.r.: Izabela Tiberiade, Christina Feist, Said Etris Hashemi, Gamze Kubaşık; Quelle: Kira Ayyadi

Viele Überlebende rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt leiden stark unter dem Erlebten. Damit die Vergangenheit nicht ihre Zukunft bestimmt, brauche es angemessene Reparationen. Es geht um die Forderung nach Heilung, darum, sein altes Leben wiederzubekommen. Das mag für viele selbstverständlich wirken – ist es jedoch nicht. Die Betroffenen schildern eindrücklich, wie Behörden, Polizei oder die jeweiligen Landesämter seelischer und psychischer Heilung aktiv im Weg stehen.

„Ich bin heute hier, um auf den Tisch zu hauen“, erklärt etwa Christina Feist. Sie war am 9. Oktober 2019 in der Synagoge in Halle, als ein Rechtsextremer versuchte, hier ein Massaker anzurichten. „Seither lebe ich mit einem Gefühl der absoluten Aussichtslosigkeit“ und einer posttraumatischen Belastungsstörung. Sie schildert etwa, wie der Amtsarzt des Landesamts für Gesundheit und Soziales, an ihrer Traumatisierung zweifelt, sie gar retraumatisiert. Sie erinnert an Shirel Golan, einer Überlebenden des Hamas-Massakers vom 7. Oktober 2023, die sich jüngst suizidierte. „Ohne meine Traumatherapeutin würde ich hier heute nicht stehen“, so Faust. Trotz all dem, was ihr widerfahren ist, muss sie die Therapie selber zahlen. Deutsche Behörden stehen ihrer Heilung aktiv im Weg. Gamze Kubaşık, Tochter von Mehmet Kubaşık, der am 4. April 2006 vom rechtsterroristischen NSU in Dortmund erschossen wurde, spricht von einem „entwürdigenden Prozess“ gegenüber den Behörden, um zu beweisen, dass man traumatisiert sei. Die Beweislast liegt immer noch bei den Betroffenen, kritisiert sie. Das müsse sich ändern.

Gamze Kubaşık ist die Tochter von Mehmet Kubaşık, der am 4. April 2006 vom rechtsterroristischen NSU in Dortmund erschossen wurde. Sie spricht von einem entwürdigen Prozess beweisen zu müssen, dass Opfer traumatisiert sein; Quelle: Kira Ayyadi
Gamze Kubaşık ist die Tochter von Mehmet Kubaşık, der am 4. April 2006 vom rechtsterroristischen NSU in Dortmund erschossen wurde. Sie spricht von einem entwürdigen Prozess, beweisen zu müssen, dass Opfer traumatisiert seien; Quelle: Kira Ayyadi

Das „schnelle Hilfe“-Gesetz zur Opferentschädigung muss überarbeitet werden

Opfer von Gewalttaten haben das Recht auf Hilfe vom Staat durch das zu Beginn 2024 reformierte Gesetz zur Opferentschädigung, SGB XIV. Das Gesetz soll die medizinische, psychologische und auch finanzielle Unterstützung von Betroffenen erleichtern. Auch Angehörige, Hinterbliebene und Nahestehende haben ein Anrecht auf diese „schnelle Hilfe“. Die Hoheit, ob jemand ein Anrecht hat, obliegt dabei den Behörden. In einem aufwändigen Verfahren müssen Betroffene die erlebte Gewalttat gegenüber den Behörden nachweisen, die im Umgang mit traumatisierten Menschen oft nicht geschult sind und die die Wirkweisen von strukturellem Rassismus und Antisemitismus nicht kennen. Das kann zu Retraumatisierung führen. Während der langen Bearbeitungszeiten geraten Betroffene oft in existenzielle Nöte, was ihre Trauma-Bewältigung erschwert. Besonders schwierig ist die Situation für im Ausland lebende Opfer. Auch ältere Fälle bleiben unzureichend berücksichtigt.

Die Überlebenden rechter Gewalt fordern am Freitag, dass das SGB XIV zur „schnellen Hilfe“ nachgebessert werden muss. Die Bürokratie muss abgebaut und die finanzielle Leistung angepasst werden. Zuständig für das soziale Entschädigungsrecht sind die Länder und die Kommunen. Eine bundesweit agierende Behörde für alle Betroffenen könnte hingegen dazu führen, dass die Zuständigkeiten klarer geregelt würden, so eine Überlegung am Freitag. Darüber hinaus fordern die Überlebenden ein Bleiberecht für Betroffene rechter Gewalt, damit sie ihre Ansprüche und ihre Rechte einfordern können.

Mit blumigen Worten und leeren Phrasen der Politiker*innen, die sich nach rechten Anschlägen schockiert zeigen, können sie ihr Leben nicht bestreiten. Die Überlebende brauchen keine Worte, sie brauchen echte Hilfe. Denn, so die Halle-Überlebende Christina Feist: „Wir haben ein Recht auf Heilung“.


Veranstaltet wurde das Zusammentreffen vom Projekt „Selbstbestimmt vernetzen, erinnern und bilden“ der Amadeu Antonio Stiftung in Kooperation mit dem Solidaritätsnetzwerk der Betroffenen rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt und dem Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG). Gefördert wird das Projekt „Selbstbestimmt vernetzen, erinnern und bilden“ durch die Beauftragte der Bundesregierung für Antirassismus.

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