Der jährliche Bericht über rechtsextreme Tendenzen in der Rechtsprechung wird auch in diesem Jahr von uns gefördert: Die Feinde der Demokratie sind so erfolgreich wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. Sie verschieben die Grenzen, die das Grundgesetz vorgibt. Im Report »Recht gegen rechts« 2023 beschreiben prominente Autorinnen und Autoren die wichtigsten Fälle. Eine dringliche Bestandsaufnahme der Reaktion von Politik und Justiz auf die wachsende Gefahr von rechts.
Vom sächsischen Verfassungsschutz offiziell als Rechtsextremist eingestuft, kehrt Jens Maier dennoch in sein früheres Amt als Richter zurück. Bei Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen sind Holocaust-Relativierungen sehr häufig, doch die Justiz zögert, dies anzuklagen. Polen macht rechtswidrig die Grenze für Flüchtlinge dicht, und der deutsche Staat spielt mit. Außerdem geht es um den Strafprozess zum »NSU 2.0«-Skandal, das Verfahren gegen den Rechtsterroristen Franco A. und viele weitere Themen, die auch uns als Stiftung nach wie vor in Beschlag nehmen.
Mit Beiträgen u.a. von Seda Başay-Yıldız, Tobias Singelnstein, Mehmet Gürcan Daimagüler, Christina Schmidt und Christina Clemm.
Der Report wird herausgegeben von Nele Austermann, Andreas Fischer-Lescano, Heike Kleffner, Kati Lang, Maximilian Pichl, Ronen Steinke und Tore Vetter. Die Herausgeber*innen sind Journalist*innen und kritische Jurist*innen, die sich von einer Grundeinsicht leiten lassen: Rechtsextreme verstehen das Recht als Arena ihrer politischen Kämpfe und versuchen, es für ihre Zwecke auszunutzen. Wenn alle diese Versuche dokumentiert und bewertet werden, ist ein wichtiger Schritt getan, um sich besser wehren zu können.
Das Buch kann kann hier bestellt werden.
Im Folgenden das Vorwort der Herausgeber*innen als Leseprobe:
Warum »Recht gegen rechts«?
Prolog
Im August 2022, im dritten Jahr des Reports »Recht gegen rechts«, jährte sich auch eines der prägendsten Ereignisse aus der Frühphase des gerade wiedervereinigten Deutschlands. Vor 30 Jahren beging ein rassistischer Mob aus Neonazis und An- wohner*innen in Rostock-Lichtenhagen den Pogrom am »Son- nenblumenhaus«, einem Wohnheim ehemaliger Vertragsarbeiter*innen aus Vietnam. Aus der Menge von über 2000 Personen wurden unter Applaus und Jubel Steine und Brandsätze gewor- fen. Als das Haus in Flammen stand, wurde die Feuerwehr am Löschen gehindert. Auf Anweisung der Polizeieinsatzleitung hatten sich Polizist*innen wenige Stunden vor dem Pogrom vom »Sonnenblumenhaus« zurückgezogen, so dass die über 100 Bewohner*innen, ein ZDF-Kamerateam und der Integrationsbeauftragte von Rostock schutzlos dem rassistischen Mob und den Flammen ausgeliefert waren. Die Tage in Rostock-Lichtenhagen stehen seither für das Versa- gen des Rechtsstaats und für den Auftakt eines rassistischen Flächenbrands. Kaum eine*r der Tatbeteiligten wurde strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen. Statt beschämt ob der Flammen des Hasses, die in Hoyerswerda 1991, Rostock-Lichtenhagen und Mölln 1992, in Solingen 1993, in der ganzen Republik wieder aufloderten, den längst begonnenen Anfängen zu wehren, schaffte eine breite Mehrheit von CDU / CSU, FDP und SPD das in Artikel 16a Grundgesetz verankerte Grundrecht auf Asyl im Mai 1993 de facto ab. Ein Grundrecht, das als Reaktion auf die Shoah sowie den Völkermord an den europäischen Sinti*zze und Roma*nja und die Verfolgung von Homo- und Transsexuellen, Kommunist*innen, Gewerkschafter*innen, Sozialdemokrat*innen und anderen Gegner*innen des NS-Regimes im Mai 1949 im Grundgesetz verankert worden war.
Wie schützen der Rechtsstaat und seine Institutionen die Betroffenen von Verfolgung, Flucht, Rassismus, Antisemitismus und Misogynie 30 Jahre nach der Zäsur von Rostock-Lichtenhagen und mehr als zehn Jahre nach der Selbstenttarnung des »Nationalsozialistischen Untergrunds«? Was tun sie zum Schutz von denjenigen, die sich für Demokratie und Zivilgesellschaft engagieren? Zum Redaktionsschluss dieses Reports brennen erneut die Unterkünfte von Geflüchteten, die in Deutschland Schutz suchen vor Krieg, Verfolgung und Folter. Wieder übertönen die Stimmen des Hasses die Praxis des Willkommens in einer offenen Gesellschaft, und wieder wollen Politiker*innen gerade diesen Stimmen zuhören. Wieder werden Gesetze verändert und genutzt, um nun die Europäische Union als Ganzes ab- zuriegeln – während täglich Menschen im Mittelmeer ertrinken und den illegalen Pushbacks, Folter und Misshandlungen an den Grenzen Europas ausgesetzt sind. »In dieser Lage ist es uns wichtig, einer kritischen Öffentlich- keit zugänglich zu machen, wo die Justiz ihre Instrumente zur Verteidigung von Demokratie und Vielfalt derzeit verstauben und verrosten lässt; wo sie Sensibilität für die Rechte von nicht nur rassistisch Marginalisierten vermissen lässt; und auch wo sie ihrerseits zu einem Teil des Problems wird, indem sie etwa Rassist*innen noch bestärkt oder ihnen scheinbar Argumente liefert.« Das hatten wir vor drei Jahren im Vorwort des ersten Reports »Recht gegen rechts« erklärt.
Seitdem haben die exemplarischen Auseinandersetzungen um die Rückkehr des rechtsextremen Richters Jens Maier in die sächsische Justiz (siehe den Beitrag von Christine Nordmann, S. 37 ff.), Gerichtsentscheidungen zugunsten rechter Corona- leugner*innen (siehe die Beiträge von Annelie Kaufmann, S. 57 ff. und Donata Hasselmann S. 263 ff.), rechte Schöff*innen (siehe den Beitrag von Susanne Müller S. 89 ff.) und der staatsanwaltschaftliche Schutz für rechte Polizist*innen (siehe den Beitrag von Pitt von Bebenburg S. 203 ff.) gezeigt: Die Gefahren für den demokratischen Rechtsstaat drohen längst auch von denen, die aus dem Inneren der Institutionen angetreten sind, ihn zu zerstören. Wie verletzlich und politisch das Rechtssystem und das Recht selbst sind, führen uns nicht zuletzt auch die Entscheidungen des US-amerikanischen Supreme Court vor Augen. Die rechtskonservative Mehrheit setzte mit der Aufhebung des vor über 50 Jahren in der berühmten Grundsatzentscheidung Roe Wade verankerten Selbstbestimmungsrechts von Frauen auf Schwangerschaftsabbruch das Recht als schärfste Waffe für den Kulturkampf von rechts ein. Die Richter*innen machten damit zugleich Zugeständnisse an christlich-fundamentalistische Bewegungen. Dessen Strateg*innen haben ihre nächsten Ziele schon fest vor Augen: die Rechte von Minderheiten und den Klimaschutz komplett abzubauen. Und auch wenn in Deutsch- land mit der hart erkämpften Abschaffung des Paragraphen 219a Strafgesetzbuch das Recht aktuell eine andere Entwicklung zu nehmen scheint, so ist unübersehbar, dass die erfolgreiche Strategie der US-amerikanischen extremen Rechten, über Jahrzehnte hinweg durch politische Prozessführung eine Agenda gegen rechtsstaatliche Grundsätze und menschenrechtliche Errungenschaften durchzusetzen, sich längst zum transnationalen Modell entwickelt hat. Das erleben wir beispielsweise in Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (siehe den Beitrag von Maximilian Pichl im Report 2022 S. 139 ff.) und im Kampf um die Unabhängigkeit der polnischen Justiz (siehe die Beiträge von Alexander Thiele, S. 49 ff. und Dieter Plehwe, S. 81 ff.) und auch in der Art und Weise, wie Ermittlungs- behörden und die politisch Verantwortlichen rechtsextreme Polizist*innen in Hessen vor Strafverfolgung schützen – ein- drücklich beschrieben von der Frankfurter Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız im Vorwort des diesjährigen Reports.
Welche Handlungsmöglichkeiten bleiben Rechtswissenschaft- ler*innen, Journalist*innen und Anwält*innen, die mit diesen Zuständen nicht einverstanden sind? »Recht gegen rechts« – ist es wirklich so einfach? Wie können wir, die sonst – gerade wegen der Erfahrungen aus unseren Kämpfen gegen rechts – Staat und Recht kritisch sehen und leidenschaftlich für Menschenrechte und Zivilgesellschaft streiten, das »Recht gegen rechts« einfordern? Antifaschismus – diese Losung ist dem liberalen Rechtstaat auch heute oft immer noch fremd. Um seine Feind*innen zu bekämpfen, operiert er mit Begriffen wie »wehrhafte Demokratie« und »freiheitlich demokratische Grundordnung«. Die »Mitte« der Gesellschaft grenzt sich von einem diffusen, hufeisenförmig ge- dachten, angeblich gleichermaßen abzulehnenden »linken« und »rechten« »Extremismus« ab – einem Begriff, der Demokratiefeindlichkeit entpolitisiert und die Gefahren unterschlägt, die auch aus der vermeintlichen »Mitte« erwachsen. Diese falsch verstandene Neutralität des Staates hat groteske Auswüchse geboren: beginnend mit den berüchtigten Radikalenerlässen gegen (vermeintliche) Linke in den 1970ern, die auch heute wieder in Abwandlungen als angeblich wirksame Instrumente für den Kampf gegen rechte Beamt*innen ins Spiel gebracht, stattdessen aber allzu oft gegen antifaschistisch engagierte Lehrer*innen und Studierende eingesetzt werden, bis zum Entzug der Gemeinnützigkeit für Vereine ehemaliger Opfer der NS-Verfolgung und Shoah (siehe den Beitrag von Mehmet Daimaguler im Report 2020, S. 99 ff.). Allzu oft haben die Mittel des Rechts wenig zum Kampf gegen rechts, umso mehr zur Bekämpfung von Antifaschist*innen beigetragen.
Das Recht gegen rechts – das ist im liberalen Rechtsstaat also immer auch die Mahnung, der Versuchung zu widerstehen, blind jenem »starken Staat« zu vertrauen, der zu oft Teil des Problems war und ist. Dennoch können wir es uns nicht leisten, im Kampf gegen rechts auf das Recht zu verzichten. Statt unpolitischer Extremismusbekämpfung, die am Ende nur den Rechten selbst nützt, ist es notwendig, diesen Widerspruch des liberalen Recht- staats zu thematisieren und die Diskussion um Gegenstrategien im Recht selbst offensiv zu führen. Der Report zeigt daher erneut auf, wo rechte Akteur*innen das Recht nutzen und die Justiz ihnen zur Seite springt, wo sich menschenverachtende Ideologie im Recht zeigt. So thematisiert Maximilian Pichl (S. 133 ff.) die rassistische Dimension der Fes- tung Europa, die weißen, christlichen Ukrainer*innen zu Recht Schutz und Aufnahme gewährt, andere Geflüchtete jedoch abweist und im polnisch-belarussischen Grenzgebiet sterben lässt. Fatou Sillah (S. 137 ff.) analysiert die nur durch Zufall bekannt gewordene Praxis einer Bremer Wohnungsbaugesellschaft, Mieter*innen nach rassistischen Kriterien zu bewerten.
Wo die Justiz gegen rechte Umtriebe tätig wird, soll der Report Teil einer kritischen Chronik sein. Am Beispiel des Verfahrens gegen den SS-Wachmann Josef Schütz greift der Beitrag von Thomas Walther (S. 231 ff.) das zögerliche Vorgehen der Justiz zur Verfolgung der letzten NS-Täter*innen auf. Auch der Umgang der Justiz mit aktuellem Rechtsterrorismus, rechten Umsturzvorbereitungen sowie den Verstrickungen von Sicherheits- behörden ist wieder Gegenstand des aktuellen Reports (siehe dazu die Beiträge von Andreas Fischer-Lescano, S. 221 ff., Heike Kleffner, S. 185 ff., und Martín Steinhagen, S. 195 ff.). Die frag- würdige Entscheidung der Justiz in Mecklenburg-Vorpommern, auf eine öffentliche Beweisaufnahme beim Waffengeschenk an den ehemaligen CDU-Innenminister Lorenz Caffier durch einen Rechtsextremisten im Nordkreuz-Komplex zu verzichten, be- schreiben Christina Schmidt und Sebastian Erb (S. 213 ff.).
Nicht zuletzt zeigen die Beiträge des Reports aber auch wieder Beispiele rechtlicher Gegenstrategien: Susanne Müller (S. 89 ff.) und Andreas Gutmann (S. 97 ff.) beschäftigen sich mit den rechtlichen Möglichkeiten, Rechtsradikale von Schöffenämtern und Sportvereinen fernzuhalten. Hanning Voigts (S. 279 ff.) und Lilli Hasche (S. 305 ff.) beleuchten, wie unterschiedliche rechtliche Institutionen mit verklausuliertem Antisemitismus umgehen. Benedikt Yuji Kaneko (S. 161 ff.) zeigt, wie Vereine und Verbände Rechtsextremismus im Fußball nicht totschweigen, sondern ihm offensiv entgegentreten können. Und nicht zuletzt zeigt sich im Familienrecht, wie zukunftsweisend strategische Pro- zessführung im Sinn einer offenen, vielfältigen Gesellschaft wirken kann: Der Europäische Gerichtshof mahnte Ende 2021 gesetzgeberische Reformen zur rechtlichen Absicherung und gesellschaftlichen Anerkennung der schon lange gelebten Vielfalt an Familienformen an – etwa Zwei-Mütter- oder Zwei-Vä- ter-Familien, Mehrelternfamilien oder Familien mit trans- und intergeschlechtlichen Eltern. Dem war ein beharrlicher Weg jahrelanger – freilich fortdauernder – Kämpfe von Betroffenen, Verbänden und Verbündeten vorangegangen (siehe den Beitrag von Lucy Chebout).
Dieser dritte Report wird erneut durch die großzügige Unterstützung der Universität Bremen, der Friedrich-Naumann Stif tung, der ZEIT-Stiftung, der Amadeu-Antonio-Stiftung und des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins ermöglicht. Für ihr Vertrauen in unser Vorhaben, eine transparente und streitbare Diskussion über dringende und komplexe rechtsstaatlichen Fragen anzustoßen, danken wir allen Förder*innen und Leser*innen sehr. Eva Berié danken wir erneut für ihr überaus akribisches und fachkundiges Lektorat. Für die redaktionelle Unterstützung bedanken wir uns erneut bei Florian Nustede.
Entscheidend zu diesem Projekt beitragen können auch Sie, liebe Leser*innen: Wir laden wieder dazu ein, Hinweise auf Ver- fahren oder Entscheidungen, die eine kritische Beleuchtung ver- dienen, an recht_gegen_rechts@posteo.de zu schicken. Vielen Dank!
Die Herausgeber*innen