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Aktionswochen gegen Antisemitismus

Zum Verhältnis von Antisemitismus und Antifeminismus

Antisemitismus und Antifeminismus sind historisch und ideologisch miteinander verschränkt und haben eine lange Tradition. Dabei sind sie weder historisch noch gegenwärtig ein Alleinstellungsmerkmal der extremen Rechten in Deutschland. Antifeminismus hat, wie andere menschenfeindliche Ideologien, vielfach eine starke Kitt-Funktion, indem er unterschiedliche gesellschaftliche und politische Milieus verbindet. Antifeministische Positionen und Organisierungen finden sich zudem auch in jüdischen Communities, ebenso wie antisemitische Positionen in feministischen und queeren Zusammenhängen (vgl. das sogenannte Pinkwashing). Der folgende Text beleuchtet die Verknüpfung beider Ideologien und ihre Rolle in reaktionären, antimodernen bis extrem rechten oder rechtsterroristischen Weltbildern.

Von Rachel Spicker und Judith Rahner – Fachstelle Gender, GMF und Rechtsextremismus

Der Beitrag erschien ursprünglich im Zivilgesellschaftlichen Lagebild Antisemitismus Deutschland 2020

Historische Verknüpfungen von Antisemitismus und Antifeminismus

Spätestens mit dem Ende des 19. Jahrhunderts, nachdem neben der erkämpften und zunehmenden jüdischen Emanzipation auch die Frauenbewegung erstarkte, werden Jüdinnen und Juden ebenso wie Frauen von reaktionären gesellschaftlichen Kräften als Bedrohung oder als Feinde der Nation stilisiert. 1902 erschien die Essay-Sammlung „Die Antifeministen“ der bekannten Frauenrechtlerin Hedwig Dohm, die den Begriff Antifeminismus analog zum Wort Antisemitismus prägte. Für Dohm sind dabei Sklaverei, Antisemitismus und Frauenunterdrückung Ausdruck desselben Prinzips von Abwertung „der Anderen“. Diese Anderen müssen als solche erst geschaffen oder konstruiert werden. Frauen sowie Jüdinnen und Juden werden in jener Zeit als „die Anderen“ markiert. Eine Abgrenzung zu ihnen ist zugleich für die Konstitution von Nationalismus, Patriotismus und Männlichkeit jener Jahre notwendig.

Mit dem Beginn der Frauenbewegung wurde von antimodernen Kräften eine „Verweiblichung der Politik“ befürchtet. Der Feminismus wurde zudem als „jüdisch“ oder „verjudet“ diffamiert. Das Erstarken der Emanzipationsbewegungen rief antifeministische Kreise auf den Plan, die über sämtliche gesellschaftlichen Milieus reichten. Der 1912 gegründete „Deutsche Bund zur Bekämpfung der Frauenemanzipation“ ist nur ein Ausdruck des organisierten Antifeminismus jener Jahre. Einige antifeministische Akteure waren dezidierte Antisemiten, wie beispielsweise der preußische Historiker Heinrich von Treitschke, von dem nicht nur der Satz stammt: „Die Obrigkeit ist männlich, dieser Satz versteht sich von selbst“, sondern auch „Die Juden sind unser Unglück“, der später zur Parole des nationalsozialistischen Hetzblatts Der Stürmer wurde. Die antifeministischen Artikulationen der Akteur*innen verknüpften sich mit antimodernistischen, antidemokratischen und eben antisemitischen Motiven.

Eine Rolle spielten dabei auch Wissenschaftsfeindlichkeit sowieAbwertungen von Intellektuellen, die sich bis heute durch antifeministische und antisemitische Narrative ziehen. Sowohl Antifeminismus als auch der moderne Antisemitismus können unter anderem als Gegenreaktion auf emanzipatorische Entwicklungen von Jüdinnen und Juden sowie der Frauenbewegungen verstanden werden.

Antisemitische und sexistische Geschlechterbilder

Der Antisemitismus ist durchdrungen von sexistischen, antifeministischen und homosexuellenfeindlichen Versatzstücken; es gab und gibt eine Vielzahl an antisemitischen Geschlechterbildern. Um Jüdinnen und Juden als „die Anderen“ stigmatisieren und markieren zu können, spielte Geschlecht eine zentrale Rolle. Die Konstruktionen sind dabei durchaus ambivalent und reichen von Vorstellungen eines „verweiblichten“ oder „effeminierten Juden“, der als Gegensatz zu einem maskulinen deutschen Mann verstanden wurde, bis hin zur NS-Rhetorik vom „übergriffigen jüdischen Mann“, der eine Bedrohung für die deutsche Frauen darstelle. Auch Jüdinnen werden in antisemitischen Geschlechterbildern widersprüchlich verhandelt. Die stereotypen Darstellungen reichen von der „schönen Jüdin als Verführerin“, die in Gegensatz zu einer tugendhaften, zumeist katholischen, weißen Frau gesetzt wurde, bis zur Jüdin als „Mannsweib“, der abwertenden Beschreibung einer Frau mit vermeintlich männlichen Eigenschaften. Zusätzlich werden Frauen häufig als schwach, emotional und feinfühlig abgewertet. Gleichzeitig existieren Vorstellungen davon, dass insbesondere Frauenrechtlerinnen und Feministinnen – so wie Jüdinnen und Juden – übermächtig seien. Sowohl Jüdinnen und Juden als auch Frauen dienen als Projektionsfläche für die Angst vor der Modernisierung der Gesellschaft und eine Furcht vor der Ablösung einer Geschlechterordnung, die nur zwei, sich gegenseitig ausschließende Geschlechter kennt, männlich und weiblich.

Gegenwärtige Verknüpfungen von Antifeminismus und Antisemitismus

Auch heute können antisemitische und antifeministische Ressentiments eng miteinander verbunden sein und sind oftmals mit einer verschwörungsideologischen Weltsicht verknüpft. Einige Akteur*innen des Antifeminismus sind ideologisch auch im antisemitischen Weltbild verhaftet. Das ist nicht sonderlich verwunderlich: Sowohl im Antisemitismus als auch im Antifeminismus gelten eine vielfältige Gesellschaft, Liberalismus und weitere Aspekte der Moderne als Bedrohung. Veränderungen und Modernisierungsprozesse werden nicht als Folge von teils langwierigen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, sondern personalisiert und als „Machwerk“ weniger einflussreicher Menschen angesehen, die angeblich auf Kosten der Gesellschaft nur an ihren eigenen Vorteil denken. Gleichstellungs- und Antidiskriminierungspolitiken und feministische Errungenschaften werden in dieser Verschwörungsideologie als zentrales Element der Manipulation des „deutschen Volkes“ gesehen. Antifeministische und antisemitische Kräfte sehen Jüdinnen und Juden als „Strippenzieher“ des Feminismus, der den Mann absichtlich „verweibliche“, um nicht länger „wehrhaft“ sein zu können. Feminismus und Gender werden als Instrument einer vermeintlich jüdischen Elite – eine antisemitische Chiffre – verstanden, die die Familie zerstöre, Frauen ihrer vermeintlich natur- oder gottgegebenen Bestimmung entziehe, Kinder durch Sexualaufklärung „verwirre“ und „umerziehe“ und in letzter Konsequenz zur Schwächung oder gar Auslöschung des „deutschen Volkes“ beitrage. Wovon wiederrum vorgeblich „die Juden“ profitieren würden.

Tödlicher Antisemitismus und Antifeminismus

Eine Verschwörungsideologie, in der sich die Verschränkung von Antisemitismus und Antifeminismus besonders deutlich zeigt, ist die des „Großen Austauschs“. Sie beschreibt die wahnhafte Behauptung eines vermeintlichen Bevölkerungsaustauschs, bei dem die mehrheitlich weiße Gesellschaft  durch muslimische und nicht-weiße Migrant*innen ersetzt und dadurch die weiße Bevölkerung vernichtet werde. Hinter dieser Verschwörung stecken angeblich „jüdische Mächte“. Gleichzeitig wird Feminismus für sinkende Geburtenraten im Westen verantwortlich gemacht, der damit ebenso die „eigene“ Bevölkerung bedrohe. Auf diese Weise werden rassistische, antifeministische und antisemitische Narrative verbunden.

Dass diese Kombination tödlich ausagiert werden kann, zeigen die Attentate von Utøya und Oslo 2011 sowie Christchurch, Poway und El Paso 2019 und nicht zuletzt der Anschlag in Halle (Saale) am 9. Oktober 2019. Gemeinsam war allen Attentätern eine Vernetzung in frauenfeindlichen, der manosphere zuzuordnenden Online-Communities, in denen u. a. die Erzählung des „Großen Austauschs“ verbreitet wird. Dabei werden mit dieser Verschwörungsideologie auch bestimmte Vorstellungen einer soldatischen Männlichkeit deutlich: Männer müssen der drohenden „Verweiblichung“ durch Feminismus ebenso Einhalt gebieten wie der vermeintlichen Ersetzung der weißen Bevölkerung. Dabei gilt es die „eigenen“ Frauen und Kinder vor den konstruierten „Anderen“ zu schützen und sich selbst als Soldaten, Beschützer und Helden zu inszenieren. Die imaginierte Bedrohung wird zum unausweichlichen Handlungszwang, Gewaltausübung als Notwehr legitimiert, und die Tötung von Menschen aus bestimmten als Feinde angesehenen Gruppen wird auf diese Weise zum Akt der Mannwerdung.

Antisemitismus und Antifeminismus weisen strukturelle Ähnlichkeiten auf, können aber auch als Bestandteile in den Narrativen der jeweils anderen Ideologie oder miteinander verknüpft auftauchen. Gemeinsam ist ihnen insbesondere, dass sich ihre Befürworter im Wesen ihrer Identität angegriffen fühlen und der imaginierte Kriegszustand notwendig erscheint, um die eigene, konstruierte Gemeinschaft zu beschützen und emanzipatorische Bestrebungen abzuwehren.

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