Um den 24. November 2021 wird zum vierten Mal der Amadeu Antonio Preis verliehen. Der Kunstpreis wurde 2015 anlässlich des 25. Todestags von Amadeu Antonio erstmalig vergeben. Seitdem würdigt er alle zwei Jahre Werke, die sich mit Rassismus und anderen Formen von Diskriminierung auseinandersetzen, sowie für Menschenrechte und Diversität eintreten. Die Jury des Amadeu Antonio Preis 2021 nominierte zehn von insgesamt 251 Einreichungen für den Jury- und Publikumspreis.
Hadas Tapouchi, „Memory Practice“ (Fotografie)
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In Hadas Tapouchis fotografischem Langzeitprojekt von ehemaligen Zwangsarbeitsstätten und Gefangenenlagern entsteht eine historische Topographie verschiedener europäischer Städte. Welche Prozesse von Normalisierung fanden statt? Welche Körper und Erinnerungen werden an diesen Orten marginalisiert? Fast schon paradox wirkt die Einflechtung ehemaliger NS Zwangsarbeiter lager in die alltägliche Urbanität. Die Künstlerin versteht ihre fortlaufende Arbeit als einen dekolo nialen Ansatz kollektive Erinnerungen zu nutzen, um hegemoniale Stadtgeschichte zu unter wandern.
Theresa Pleitner, „Über den Fluss“ (Roman)
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Der Roman „Über den Fluss“ von Theresa Pleitner verhandelt das Oszillieren zwischen Verant- wortungsübernahme und selbstgerechten Retterfantasien aus der Perspektive einer idealistischen Psychologin, die sich jedoch zunehmend als Komplizin struktureller Gewaltmechanismen sieht. Pleitner erzählt vom Leid jener, die flüchten mussten, und der Ambivalenz von Hilfeleistungen und Kontrollen, mit denen ihnen hier begegnet wird. Ein Kernthema von „Über den Fluss” sind weiße Privilegien und die Verstrickungen in strukturellen Rassismus.
Clarita Maria, „Monologue“ (Videoperformance)
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Die Arbeit „Monologue“ von Clarita Phiri-Beierdörffer gewährt intime Einblicke in die Beziehung Schwarzer Frauen zu ihren Haaren und nutzt das Medium Video hierbei als safe space. In der Videoperformance sitzt die Künstlerin in einem Raum, der einem Friseursalon gleicht. Hier sprechen die Stimmen ihrer Tanten zu ihr in Bemba, der indigenen Sprache Sambias. Sie reden über die kulturell aufgeladenen und alltäglichen Aspekte ihrer Haare. Die Künstlerin problema- tisiert alltägliche, teils traumatisierende Erfahrungen von Schwarzen Frauen in weißen Mehr- heitsgesellschaften.
Sharon Paz, „Dare to Dream“ (interaktive Videoinstallation)
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“Dare to Dream” ist eine interaktive Videoinstallation, bei der die Olympischen Spiele 1936 und insbesondere zwei sehr unterschiedliche Frauen im Mittelpunkt stehen: die deutsch-jüdische Hoch- springerin Margaret Lambert (Gretel Bergmann) und Leni Riefenstahl, Produzentin von Propagan- dafilmen in der NS-Zeit. Die Betrachtenden befinden sich in einem Interview an der Schnittstelle von Realität und Fiktion und können aktiv Einfluss nehmen, in dem sie sich zwischen verschie- denen Antwortmöglichkeiten entscheiden. Für Sharon Paz wird damit auch die Frage berührt, wer die Hegemonie über die Geschichtsschreibung und die Erinnerungskultur hat.
onlinetheater.live und HAU, „Loulu“ (Theater)
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„Loulu“ ist eine kostenlose Smartphone-App, die die Spieler*innen in eine interaktive Fiktion einlädt. Das Single-Player-Game macht Manipulationstaktiken und Diskursverschiebungen „neurechter” Netzwerke erfahrbar und zeigt, dass soziale Internetplattformen perfekte Keimzellen zur gezielten Radikalisierung sein können.
Es ist das erste Kooperationsprojekt von onlinetheater.live und dem HAU (Hebbel am Ufer) und wirkt präventiv und immunisierend gegen eine Radikalisierung nach Rechts.
Theater Lokstoff, „Gegen das Vergessen – Erinnern für das Morgen“ (Theater)
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In der gemeinsamen Arbeit „Gegen das Vergessen – Erinnern für das Morgen” hat das Stuttgarter Theater Lokstoff mit dem Filmemacher Luigi Toscano und mit Jugendlichen des Jugendensembles erforscht, wie man sich den beeindruckenden Porträts der Holocaust-Überlebenden von Luigi Toscano in künstlerischer Weise annähern kann. Hierbei sind verschiedene Formate entstanden: Eine Führung der Jugendlichen durch die Ausstellung, sowie ein Netzwerk von Botschafter*innen, von denen die Themen der Ausstellung in die Schulen getragen werden.
Das „Pegida Archiv-Projekt“ ist eine offene Materialsammlung, die sich ausgehend von den Demonstrationen der rechtsradikalen Pegida-Bewegung mit den „Neuen Rechten“ beschäftigt. Angefangen hat das Projekt mit der filmischen Begleitung der Demonstrationen in Dresden von 2017 bis 2019 und der parallelen Dokumentation des Verhaltens ihrer Teilnehmenden in den sozialen Medien. Susanne Kontny versetzt das gesammelte Material in Zusammenarbeit mit anderen Künstler*innen in verschiedene Installationen, Räume und mediale Kontexte. Dabei legen sie einen Schwerpunkt auf die Zeichen und die Symbole der Beteiligten an den Pegida-Protesten.
Itamar Gov , „A Garden for Rosa“ (Kunst im öffentlichen Raum)
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In “A Garden for Rosa“ hat Itamar Gov Blumen nahe der Stelle gepflanzt, an der die ermordete Rosa Luxemburg 1919 in den Landwehrkanal geworfen wurde. Es handelt sich dabei um Pflanzen aus Luxemburgs Herbarium, das in der Zeit ihrer Ge- fangenschaft entstanden ist. Luxemburg sammelte, presste, klebte und trocknete über Jahre Blumen aus dem Gefängnis- hof oder Mitbringsel ihrer Besucher*innen und füllte damit 17 Notizbücher. Der interdisziplinäre Künstler Itamar Gov arbei- tet häufig an der Schnittstelle von Geschichte, Ideologie und Ästhetik und beschäftigt sich mit persönlichem, kollektivem oder institutionellem Erinnern.
Cihan Cakmak, „Em fraktal“ (Videoinstallation)
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Cihan Cakmaks Videoinstallation ist inspiriert von ihrer nächtlichen Traumwelt, der Herkunft ihrer Eltern und von Gesprächen der Künstlerin mit kurdischen Frauen. In den letzten Jahren haben sich 10.000 kurdische Frauen selbst umgebracht, 12.000 sind sogenannten Ehrenmorden zum Opfer gefallen. Cakmak beschäftigt die Frage, welche Auswirkungen Unterdrückung auf die menschliche Psyche hat. Wie können Menschen mit transgenerationalem Trauma ihren Selbstwert erkennen und zurück gewinnen?
Naomi Boima, „the books we read“ (Videoperformance)
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Naomi Boima setzt sich in ihrer Kunst mit den weit verbreiteten rassistischen Inhalten in Kinder- büchern und Bildungsmaterialien auseinander. In “the books we read” kanalisiert die Künstlerin Wut, Schmerz und Trauma insbesondere Schwarzer Kinder, um ein Zeichen zu setzen und Schwarze Personen und Personen of Colour zu empowern. Früh internalisierter Rassismus legitimiert in vie- len Fällen psychische und physische Gewalt gegen BiPoC durch beispielsweise entmenschlichende Darstellungen. Boima fordert eine kritischere Auseinandersetzung mit der Nutzung von Medien und die Förderung antirassistischen Denkens.
Unsere Jury 2021:
Özlem Özgül Dündar, Autorin
Anetta Kahane Autorin, Vorsitzende Amadeu Antonio Stiftung
Michael Küppers-Adebisi Künstler, Kulturmanager
Norman Reichelt Musiker, Leiter Kulturamt Eberswalde
Peter Sauerbaum Kulturmanager
Augusto Jone Munjunga, Afrikanischer Kulturverein Palanca Eberswalde
In einer Stellungnahme unterstützt die Amadeu Antonio Stiftung grundsätzlich das Gesetz zur Errichtung der Stiftung NSU-Dokumentationszentrum. Trotz vieler guter Schritte und Gedanken möchten wir einige wichtige Anpassungen und Ergänzungen vorschlagen.
Im Superwahljahr 2024 hat eine rechtsextreme Partei in ostdeutschen Bundesländern hohe Stimmenanteile erzielt. Bei der kommenden Bundestagswahl droht die Gefahr, dass sie diesen „Erfolg“ über Ostdeutschland hinaus fortsetzt. Viele Initiativen und Bündnisse engagieren sich kreativ und mit langem Atem für ein solidarisches und demokratisches Miteinander. Die Zivilgesellschaft steht bundesweit weiterhin gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus ein. Dieses stabile Engagement braucht es nunmehr denn je, trotz und gerade wegen aller Unsicherheiten.
Als die Correctiv-Recherchen Anfang 2024 publik wurden, gründeten sich bundesweit Initiativen, die zu Demonstrationen für Demokratie und gegen Rechtsextremismus aufriefen. Sie mobilisierten Hunderttausende. Seitdem sind neue Initiativen und Bündnisse entstanden und Netzwerke gewachsen. Die Zivilgesellschaft in Ostdeutschland blüht auf, wie lange nicht. Trotzdem erringt die rechtsextreme AfD starke Ergebnisse. Das enttäuscht und war doch vorhersehbar. Es braucht Zeit, die über Jahre entstandene rechtsextreme Hegemonie wieder aufzubrechen. Ein Kommentar.
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