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Eberswalde 30 Jahre nach dem Mord an Amadeu Antonio

Der Verein Palanca und die Initiative Light me Amadeu setzen sich bis heute für die Umbenennung der Straße am Tatort nach Amadeu Antonio ein.

Amadeu Antonio wurde im brandenburgischen Eberswalde von Neonazis zu Tode geprügelt. Heute wehren sich Akteur*innen der Gemeinde engagiert gegen Rechtsextremismus – ein langer Prozess, der von der Amadeu Antonio Stiftung maßgeblich gefördert wurde.

Von Alice Lanzke und Berty Mbuka

Der Mord an Amadeu Antonio hat Eberswalde geprägt. Der Name der Stadt wurde wie Mölln und Solingen zu einem Synonym für die tödlichen Auswirkungen von Rassismus. Gleichzeitig steht er beispielhaft für die fatalen Strukturen, die nach der Wende das Entstehen einer aktiven Neonazi-Szene begünstigten: In den neuen Bundesländern herrschte zu jener Zeit ein Machtvakuum, viele Polizeidienststellen waren mit der Umstrukturierung überfordert und teilweise nicht wirklich arbeitsfähig. Dennoch bleibt unerklärlich, warum die Polizei in der Nacht des Überfalls nicht eingriff, obwohl Beamte den tödlichen Angriff auf Amadeu Antonio aus der Ferne beobachteten.

Später wurde gegen drei Beamte wegen „Körperverletzung mit Todesfolge aufgrund unterlassener Hilfeleistung“ ermittelt, jedoch keine Anklage erhoben. Der Mord selbst wurde als „schwere Körperverletzung mit Todesfolge“ eingestuft, die Angeklagten kamen mit Jugendstrafen zwischen zwei und vier Jahren davon – ein mildes Urteil, symptomatisch für jene Zeit, in der Straftaten mit rassistischer Motivation oft bagatellisiert wurden .

Rechtsextreme Gewalttäter wurden nicht als politisch motiviert und ideologisch angetrieben eingeschätzt, sondern konsequent verharmlost. Straftaten und gewalttätige Übergriffe wurden zu „jugendlichen Flegeleien“ oder „Jugendprotest“ erklärt. Wie falsch diese Einschätzung war, zeigt nicht zuletzt das Beispiel von Sven B., einem der Haupttäter beim Mord an Amadeu Antonio: Ein Jahr später prügelt dieser gemeinsam mit anderen Neonazis erneut einen Menschen zu Tode und wird dafür zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt.

Eine Stadt „zurückkippen“

Es sollte einige Zeit dauern, bis sich Eberswalde mit dem Mord an Amadeu Antonio wirklich auseinandersetzte. Zunächst einmal geschah wenig. Selbstkritisch räumte der damalige Bürgermeister Hans Mai (SPD) zum 20. Todestag Antonios ein, viel versäumt und nicht klar genug Stellung bezogen zu haben. Und dennoch gilt heute – 30 Jahre später – Eberswalde als ein Beispiel dafür, wie erfolgreiches Engagement gegen Rechtsextremismus aussehen kann. Das liegt zum einen daran, dass sich das Bewusstsein von Politik sowie Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden verändert hat. Zum anderen ist in Eberswalde eine starke Zivilgesellschaft entstanden. Beide teils mühsamen und langwierigen Prozesse wurden intensiv von der Amadeu Antonio Stiftung gefördert. So sei es gelungen, die einstige Nazi-Stadt „zurückzukippen“, wie die Stiftungsvorsitzende Anetta Kahane es nennt, und eine breite Basis des Engagements von unterschiedlichsten Seiten zu schaffen.

2003 gab die Stiftung beispielsweise Starthilfe für die Bürgerstiftung Barnim-Uckermark, der ersten Bürgerstiftung Deutschlands, die sich explizit der Förderung einer demokratischen Kultur in ihrer Region verpflichtet hat. Zu diesem Zweck organisiert und vernetzt sie Demokratie-fördernde Projekte in verschiedenen Bereichen, vergibt etwa einen Preis für demokratisches Handeln und organisiert Veranstaltungen zum freiwilligen Engagement für Jugendliche. Die Amadeu Antonio Stiftung war maßgeblich an der Konzeption und Durchführung erster Projekte in der Region beteiligt und steht der Bürgerstiftung bis heute zur Seite.

Ein lang erstrittenes Erinnerungskonzept

2012 beschloss die Stadt schließlich, gemeinsam mit der Zivilgesellschaft ein Erinnerungskonzept zu entwickeln. Das Ergebnis: Am 9. August 2014 eröffnete mitten in Eberswalde das „Bürgerbildungszentrum Amadeu Antonio“. Im Haus haben Initiativen wie die Koordinierungsstelle für Toleranz und gegen Fremdenfeindlichkeit einen Ort für ihre Arbeit gefunden. Die Stadtbibliothek und eine Kita füllen die ehemalige Schule mit Leben. Und auch die von der Amadeu Antonio Stiftung mitgegründete Bürgerstiftung Barnim-Uckermark ist dort eingezogen.

Ein weiterer Teil des städtischen Erinnerungskonzepts: der Amadeu Antonio Preis, den Stadt und Stiftung seit 2015 alle zwei Jahre vergeben. Er würdigt Künstler*innen aus Bildender Kunst, Literatur, Theater und Musik und zeichnet Werke aus, die sich mit Rassismus und anderen Formen von Diskriminierung auseinandersetzen sowie für Menschenrechte und Diversität eintreten.

„Das Bürgerbildungszentrum ist ein wichtiger Ort für Eberswalde. Aber viel größeren Wert legen die ehemaligen angolanischen Kollegen von Amadeu Antonio auf eine Forderung, die auf unbestimmte Zeit vertagt wurde: die Umbenennung eines Teils der Straße am Ort des Verbrechens nach ihm“, erklärt Kai Jahns, der viele Jahre als Koordinator für Toleranz in Eberswalde tätig war. In zwei von der Stadt organisierten Workshops wurde mit Bürger*innen heftig – und oftmals auch durch rassistische Vorurteile geprägt – über die Straßenumbenennung gestritten. Teils mit offen rassistischen Beleidigungen konfrontiert, ist der versuchte Umbenennungsprozess für die Angolaner eine schmerzhafte Erinnerung an das unerfüllte Bedürfnis nach Respekt und Anerkennung. Bis heute erinnert am Tatort nur eine schlichte schwarze Gedenktafel an Amadeu Antonio.

Anlässlich des 30. Todestages hat die Stadt beschlossen, dem Mord an Amadeu Antonio und der Geschichte der angolanischen Gastarbeiter mehr Platz im öffentlichen Raum zu widmen: Gemeinsam mit Initiativen vor Ort wird ein Wegweiser mit ausführlichen Informationstafeln erarbeitet, an dessen Kosten sich auch die Amadeu Antonio Stiftung beteiligt.

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Amadeu Antonio Gedenktafel - Foto von Robert

Erschlagen vom Nazi-Mob, während die Polizei zusah

Eine Gruppe aus 50 rechtsextremen jungen Erwachsenen jagte den jungen Amadeu Antonio in der Nacht zum 25. November 1990 durch Eberswalde. Die Polizei beobachtet das Szenario und greift nicht ein. Am 6. Dezember verstarb der Angolaner. Ein Rückblick auf den Mord.

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Jeder ist bei uns willkommen!

Dem Andenken an Amadeu Antonio hat sich der Afrikanische Kulturverein Palanca e.V. in Eberswalde verschrieben. Doch nicht die Trauer steht im Vordergrund: Vielmehr setzt sich der Verein erfolgreich und kreativ für Akzeptanz, Annäherung und Integration ein.

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