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Rechtsextreme Chats und kaum Konsequenzen

Photo: Markus Spiske on Unsplash

In den letzten Monaten wurde eine ganze Fülle an rechtsextremen „Einzelfällen” unter Polizeibeamten bekannt – doch eine ernstzunehmende Aufarbeitung bleibt aus.

Chats, in denen Beamte auf Fotos mit Hitlergruß posieren oder ihre Dienstmunition zum Hakenkreuz anordnen, bunte Bildchen mit NS-Symbolik teilen oder von ihren Vernichtungsfantasien be-richten: Rechtsextreme Chatgruppen in der Polizei Nordrhein-Westfalen haben zuletzt bundesweit Schlagzeilen gemacht. Solche Vorfälle sind widerlich, aber keineswegs neu – ungewohnt war aber die deutliche Reaktion. Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul sprach von einer „Schande für die Polizei” und setzte eine Sondereinheit ein, es wurden etliche Beamte suspendiert.

Inzwischen muss Reul einräumen, dass sich der Skandal ausweitet. Doch damit ist er keineswegs allein: Der Verfassungsschutz berichtet von 350 rechtsextremen Verdachtsfällen bundesweit zwischen Januar 2017 und März 2020 – basierend auf wohlgemerkt freiwilligen Meldungen aus den Ländern. Die Dunkelziffer dürfte noch viel höher sein. Was sich dahinter verbirgt: Ein Polizeibeamter, der zum Themenfeld Rechtsextremismus ermittelte, aber selbst an einem rassistisch motivierten Übergriff auf einen Afghanen beteiligt war. Ein Polizeimitarbeiter, der eine rechtsextreme Terrorzelle finanziell und bei der Beschaffung von Waffen unterstützte. Ein Kripo-Beamter, der seinen dienstlichen Schreibtisch mit Hakenkreuzen und Hitlerbildern dekorierte. Unzählige verfassungsfeindliche Äußerungen, in und außerhalb des Dienstes. Und immer wieder rechtsextreme Chatgruppen voll von Rassismus und Antisemitismus – überall in Deutschland.

Die entschlossene Aufklärung fehlt

Um das Problem ernsthaft anzugehen, bräuchte es eine schonungslose Analyse. Doch gegen die versperrt sich Bundesinnenminister Horst Seehofer vehement. Gegen den naheliegenden Vorwurf, die Polizei habe ein strukturelles Problem, verwehrte sich der oberste Dienstherr mit aller Schärfe, eine Untersuchung rassistischer Tendenzen in der Polizei lehnte er entschieden ab. Nun soll es doch eine Studie geben: Sie soll den Polizeialltag und explizit auch „Gewalt und Hass gegen Polizeibeamte” unter die Lupe nehmen. Bei allem Verständnis für den schweren Job, den Polizist*innen hierzulande machen: Das kann und darf keine Rechtfertigung für Rassismus unter den Beamten sein.

Wir reden nicht über Dumme-Jungen-Streiche, sondern über verfassungsfeindliche Straftaten, die das Vertrauen in die Polizei derart beschädigen, dass es kaum wieder gutzumachen ist – vor allem unter denjenigen, die von Bedrohungen, Hass und Diskriminierung betroffen sind: So wenden sich viele Jüdinnen und Juden schon lange nicht mehr an Polizeibeamt*innen, wenn sie antisemitische Übergriffe erleben. Schwarze Menschen und People of Color sind nicht mehr überrascht, wenn sie als einzige auf dem Bahnhofsvorplatz nach ihrem Personalausweis gefragt werden. Für zahlreiche Betroffene von digitaler Hasskriminalität ist es bereits Normalität geworden, von den Ermittlungsbehörden nicht ernst genommen zu werden. Engagierte mussten in der Vergangenheit immer wieder erfahren – oft aus Medienberichten -, dass ihre persönlichen Daten aus Polizeicomputern abgefragt wurden. Sie erleben, dass ihre Fenster eingeschlagen und ihre Briefkästen gesprengt werden, erhalten dann aber einen Brief, dass die Ermittlungen ergebnislos eingestellt wurden. Und das obwohl Journalist*innen und Aktivist*innen mitunter sehr genau belegen können, wer hinter den Taten steckt.

 Die Aufgaben liegen klar auf dem Tisch

Von groß angelegten Maßnahmen, die Vertrauen zurückgewinnen könnten, ist bislang nichts zu hören. Wo bleibt die unabhängige Anlaufstelle, die Betroffene ernst nimmt? Wohin können sich Polizeibeamte wenden, wenn sie rechtsextreme Umtriebe am Nachbartisch mitbekommen? Wenn sie Angst haben, Vorgesetzte anzusprechen, weil diese daran beteiligt sein könnten? Oder weil sie hinterher als schwarzes Schaf gelten, das die eigenen Kameraden verpfeift? Wo bleibt der oder die Polizeibeauftragte zur schonungslosen Aufklärung aller rechtsextremen Umtriebe? Wo sucht die Polizei die Zusammenarbeit mit den betroffenen Communities? Wie wird gewährleistet, dass Verfahren nicht wegen eines angeblich geringfügigen öffentlichen Interesses schnell eingestellt werden?

Diese Herausforderungen anzugehen, DAS wären die Aufgaben eines Innenministers. Es geht nicht darum, die eigenen Reihen unter Generalverdacht zu stellen oder die Polizei zu schwächen. Wer die Verpflichtung ernst nimmt, die Grundrechte zu garantieren und Gefahren abzuwenden, sollte die Polizei sogar stärken: Und zwar als Menschenrechtsinstitution.

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