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Wo steht die AfD im Jahr 2023?

Wo steht die AfD im Jahr 2023?

Vor einem halben Jahr deutete nicht allzu viel auf ein schnelles Wiedererstarken der AfD hin. Im Mai 2022 war die rechtsextreme Partei zum ersten Mal in ihrer jungen Parteigeschichte aus einem Landtag herausgewählt worden. Auch in Nordrhein-Westfalen schaffte sie nur knapp den Wiedereinzug. Jetzt scheint die AfD wieder obenauf. Woran liegt das?

 

Von Jan Riebe

 

Die Krise der AfD war offensichtlich. Die Gründe dafür sind hausgemacht und haben wir letztes Jahr ausführlicher analysiert.

 

Eine Radikalisierung hat der AfD trotz einiger innerparteilicher Unkenrufe bislang wenig geschadet. Daher dürfte diese weitergehen. In der Partei gibt es drei wesentliche Faktoren die zu einer ständigen Radikalisierung beitragen:

Foto: Tim Reckmann (CC BY-NC 2.0)
  1. Die von Beginn an eng vernetzte innerparteiliche extreme Rechte. Durch Zusammenschlüsse wie der „Patriotischen Plattform“ und dem Flügel gab es von Beginn an eine Partei in der Partei, wo man sich abgestimmt und koordiniert hat.
  2. Der steigende Einfluss rechtsextremer Vorfeldorganisationen. Götz Kubitschek gilt seit Beginn an als „Einflüsterer“ und wichtiger Ratgeber von Björn Höcke. Er hat schon sehr früh der AfD ein vergiftetes Angebot gemacht: Das Vorfeld der Partei, wie sein Institut für Staatspolitik oder die Identitäre Bewegung, setzt Themen und etabliert eine toxische Sprache, die die AfD noch nicht „ungestraft“ bespielen könne. Sie helfe bei der gesellschaftlichen Diskursverschiebung. Dass es dabei um Diskursverschiebungen im Sinne von Höcke und weniger im Sinne von Lucke ging, war allen klar.
  3. Die Neueintritte und die Parteijugend. Sie verändern die Partei und radikalisieren sie. „Gemäßigte“ treten seit Jahren nur aus, nicht ein.
vfutscher
Analyse

AfD in der Radikalisierungsfalle

Die AfD ist auch 2022 von Orientierungslosigkeit und Zerstrittenheit geprägt. Derzeit streitet sie intern über den Umgang mit den „Freien Sachsen“, einer rechtsextremen Kleinstpartei, die ihr im Freistaat den Rang als rechte Protestpartei abgelaufen hat.

Das junge und dynamische Gesicht des Rechtsextremismus: Die Junge Alternative. Foto: Matthias Berg (CC BY-NC-ND 2.0)

Vorreiterin der Radikalisierung: Die Junge Alternative

 

Wer wissen will, was womöglich in ein, zwei Jahren offizielle Positionen der Bundes-AfD sind, sollte also einen Blick auf ihre Jungendorganisation „Junge Alternative“ (JA) werfen: „Personell, programmatisch und strukturell agierte die Junge Alternative zumeist als Vorreiterin einer Radikalisierung der AfD“, so das Ergebnis einer Studie von FORENA der Universität Düsseldorf. Demnach habe die JA - und tue dies weiter - personell wie thematisch eine Radikalisierung der Gesamtpartei oft vorweggenommen und sei noch mehr als die Mutterpartei „relativ offen gegenüber extrem rechten Einflüssen“. Sie versuche in diesem Sinne „den Einfluss von ausschließlich auf Wahlerfolgen und Parlamentsarbeit orientierten Teilen der AfD zurückzudrängen“. Was damit gemeint ist, erläuterte der aktuelle Bundesvorsitzende der JA Johannes Gnauck in einem Gespräch mit dem Institut für Staatspolitik: „Es müssen deutlich mehr junge Leute in die Mandate (der AfD in den Parlamenten, Anm. d. Red.) kommen, gepaart mit dem Straßenkampf“.

Nach dem Streit ist vor dem Streit

 

Diese Radikalisierung hat Bundesprecher*innen der Partei ins Amt gehievt und sie wieder herauskatapultiert, als sie dann nicht mehr radikal genug waren. Seit dem Weggang von Bundessprecher Jörg Meuthen kann die AfD wieder ein Stück offener auftreten - für alle sichtbar als zentraler Akteur der extremen Rechten. Durch diese Klarstellung hoffte die Partei, zur Ruhe zu kommen. Beim im Juni 2022 stattgefunden Bundesparteitag in Riesa konnte sich erstmals kein*e Kandidat*in gegen den Willen des rechtsextremen Flügels um Björn Höcke durchsetzen.

 

Auch die Parteivorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla sind von Höckes Wohlwollen abhängig und wissen was passiert, wenn sie den Weg der Radikalisierung nicht mitgehen. Spätestens seit Riesa ist klar: Höcke ist Parteichef in spe. Auch wenn der Parteivorstand nun erstmalig alleinig in der Hand des rechtsextremen Flügels ist, soll es intern gehörig krachen. Aber das ist vielleicht die substanziellste Änderung: Es wird versucht den Konflikt vor allem intern auszutragen.

Björn Höcke hat den rechtsextremen Kurs der AfD durchgesetzt, die Parteiführug hängt von seinem Wohlwollen ab. Foto: Paul Lovis Wagner / Campact (CC BY-NC 2.0)

Bei der Bundestagsfraktion und Gesamtpartei sieht das schon anders aus. Im Vorfeld der Nominierungen für die Europawahl 2024 ist ein weiterer Machtkampf in der Partei entbrannt, insbesondere zwischen Maximilian Krah und Nicolaus Fest fliegen seit Monaten die Fetzen. Eine neue Qualität erreichte der Konflikt, als das Portal Tichys Einblick einen vermeintlichen Enthüllungsartikel über Krah veröffentlichte. Dieser drohte mit Klage. Auch die inhaltlichen Konfliktlinien in der Partei haben sich eher verschoben, als dass sie verschwunden sind. Hauptstreitpunkt ist die Positionierung zum russischen Angriffskrieg. Wie die gesamte extreme Rechte ist auch ihr derzeit wichtigstes Projekt, die AfD, in dieser Frage gespalten.

Foto: Matthias Berg (CC BY-NC-ND 2.0)

Elsässer: „Die Rechte in Deutschland liegt in Trümmern“

 

Den 8. Mai mag die extreme Rechte ohnehin nicht sonderlich, im letzten Jahr war er für die AfD aber besonders schmerzlich. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte verpasste sie den Wiedereinzug in ein Landesparlament. Nicht nur Demokrat*innen freuten sich: „Verdiente Ohrfeige für die AfD: Rausgeflogen in Schleswig-Holstein! Wer nicht in der Lage ist, das NEIN zur deutschen Kriegsbeteiligung prominent zu thematisieren, ist überflüssig. Eine Opposition die keine Opposition sein will, braucht NIEMAND!“. Dieser Wutausbruch auf dem Telegram-Kanal des Compact-Magazins war eine Ansage von Jürgen Elsässer. Wer seinem Motto "Ja zur Neutralität – Frieden mit Russland!" nicht folgt, bekommt volle Breitseite. Insbesondere diejenigen aus dem eigenen rechtsextremen Lager. Im Gespräch mit Martin Sellner legte er gewohnt überspitzt nach: „Die Rechte in Deutschland liegt in Trümmern“. Elsässer machte nur noch Verbündete bei den russlandfreundlichen Querdenker*innen aus.

 

Auch in der AfD merkte man, dass der Streit um den Krieg der Partei schadete. Prominente wie Gauland forderten, sich alleinig auf deutsche Interessen bei Konflikten zu konzentrieren. Was er darunter versteht, offenbarte er auf einer Fraktionssitzung: Nach übereinstimmenden Aussagen sagte er, dass ihm die Frauen im Iran und die Menschen in der Ukraine „völlig egal“ seien. Im Sinne der deutschen Interessen zähle nur, wie man billiges Gas und Öl importieren könne.

Damit der Streit um den russischen Angriffskrieg der Partei nicht schadet, versucht die AfD sich auf halbwegs konsensfähige Positionen zu verständigen. Hierbei instrumentalisiert der rechtsextreme Flügel den Krieg, um die Partei auf zwei bis drei Punkte einzuschwören und so durch die Hintertür eine klare Positionierung pro Putin zu bewirken. Als vermeintlicher Konsens, statt sich im Krieg für eine Seite zu positionieren, solle die AfD sich wie auch von Gauland gefordert, auf „deutsche Interessen“ konzentrieren:

 

  1. Verhindern, dass Deutschland in den Krieg mit hineingezogen wird. Dies ist verbunden mit der Position gegen jegliche Waffenlieferungen an die Ukraine. Eine Erklärung warum Deutschland Waffen liefert, haben sie auch: Demnach sei Deutschland nicht souverän, sondern Vasall der USA und die politischen Eliten seien fremdgesteuert.
  2. Hieran anknüpfend ist das zweite wichtige Narrativ, dass es im Krieg darum gehe, ein weltweites „Regenbogenimperium" zu etablieren. Unter dem Kofferbegriff des „Regenbogenimperium“ subsumieren die extrem Rechten alles, was sie als „westlich dekadent“, „wurzellos“, „identitätslos“, „geschlechtslos“, „woke“ und „traditionslos“ verstehen - nahezu ihr ganzes Weltbild. Und im Kampf gegen das „Regenbogenimperium“ sei nun mal Russland ein natürlicher Verbündeter und somit sei es „deutsches Interesse“, auf Putins Seite zu sein.
  3. Ziel müsse es zudem sein, die AfD als Friedenspartei zu inszenieren und Deutschland wieder als globalen Player zu etablieren. Deutschland solle auf Initiative der AfD Friedensverhandlungen initiieren und durchsetzen, dass diese auch auf deutschem Boden stattfinden. Ein Vorbild sei der „Berliner Kongress“ von 1878. Der erste Versuch, solch eine Friedensinitiative durch Alexander Gauland zu starten, scheiterte schon parteiintern. Einem Teil der AfD-Fraktion war der „Friedensplan“ dann doch zu parteiisch pro Russland.

 

Ob das Friedensthema, samt der Angst in den Krieg gezogen zu werden, ein Gewinnerthema für die AfD bleibt, hängt auch vom Kriegsverlauf ab. Leider erfolgreich ist die Partei aber zweifellos mit ihrer Hetze gegen Migration.

Foto: Rasande Tyskar (CC BY-NC 2.0)

Organisierte Migrationsabwehr

 

Mit dem Anstieg von Migration nach Deutschland steigen im leichten zeitlichen Verzug auch meist die Zustimmungswerte zur AfD. Rassismus ist immer noch der Hauptgrund für viele, die Partei zu wählen. Auch 2023 ist leider zu erwarten, dass es unter ihrer Beteiligung zumindest regionale, teils auch gewalttätige Aufmärsche gegen geplante oder bestehende Geflüchtetenunterkünfte geben wird. Die AfD schafft es auch, dass Politiker*innen anderer Parteien sich offener flüchtlingsfeindlich positionieren. Verbunden wird das Thema aber auch häufig mit Verschwörungserzählungen vom „Großen Austausch“ oder „great reset“ und verschwörungsideologischem Souveränismus, wonach Deutschland nicht souverän sei und „unsere politischen Eliten fremdbestimmt sind“ (Höcke). Diesen Verschwörungsvorstellungen folgend können Wahlen kaum mehr etwas ändern, wenn eine übermächtige Macht die Geschicke im Land steuert. Dieser Logik folgend würde nur ein Systemsturz helfen.

Dass Teile der AfD einen Systemwechsel hin zu einem autoritären System à la Putin wollen, ist offensichtlich. Trotzdem müssen sie sich etwas nebulöser geben, harmloser erscheinen und nicht so klar den Systemsturz betreiben, wie es die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann beim verhinderten Reichsbürger-Putsch wohl getan hat. Und auch der ehemalige AfD-Landesvorsitzende von Sachsen-Anhalt und enger Höcke-Vertraute André Poggenburg kann nach seinem Parteiausschluss deutlicher äußern, was das erklärte Ziel ist: „Sollte es soweit kommen, dass deutsche Bürger Krieg führen müssen, dann werden wir mit der Waffe in der Hand den Krieg gegen Sie und Ihre Polit-Kartell-Parteien führen.“ Als ein Test was legal möglich ist, können die Ansätze in mehreren - vor allem ostdeutschen Landesverbänden - gesehen werden, nämlich die AfD als Bewegungspartei zu etablieren, wo die Arbeit im Parlament eine wichtige, aber nicht die wichtigste Rolle spielt.

Nicht nur André Poggenburg, auch sein Freund Björn Höcke, mag es martialisch. Er beschwört den Endkampf des „deutschen Volkes“ immer wieder herbei, um dadurch auch seine extremistische Einstellung als Notwehr zu rechtfertigen: „Der Kampf, den wir kämpfen, um die Existenz unserer Nation und Europas wird nicht in den Parlamenten entschieden, der wird auf der Straße entschieden“. Das 1997 vom damaligen NPD-Chef Udo Voigt entwickelte Drei-Säulenkonzept: Kampf um die Köpfe, Kampf um die Straße und Kampf um die Parlamente ist mehr oder weniger auch für den Flügel um Höcke bestimmend.

 

Für den Kampf um die Köpfe sind Vorfeldorganisationen wie das Institut für Staatspolitik, die Bibliothek des Konservatismus und womöglich die demnächst mit staatlicher Millionenförderung unterstütze Desiderius-Erasmus-Stiftung zuständig. Den Kampf um die Straße übernehmen parteinahe Organisation wie „Zukunft Heimat“, die Nachfolgeorganisationen der Identitären Bewegung, die „Freien Sachsen“ und die AfD selber. Aber ein Selbstläufer ist das Konzept nicht: Bis auf die Großdemo in Berlin am 8. Oktober 2022, die mit viel Budget und Kraftanstrengung auf die Beine gestellt wurde, und eine weitere Demonstration in Gera mit 10.000 Beteiligten konnte die AfD auch in ihren Kernländern nicht übermäßig mobilisieren, auch nicht im ausgerufenen „Heißen Herbst“. Selbst Gallionsfiguren wie Höcke schafften es nicht immer, große Menschenmengen zu mobilisieren. Und der Kampf um die Parlamente war bis zur Niedersachsenwahl durch eine lange Durststrecke für die AfD geprägt.

Streitfrage: Thüringer Weg bundesweit?

 

Auch 2023, mit Wahlen ausschließlich in westlichen Bundesländern und Berlin, wird ein schon seit Jahren parteiinterner Streit fortgeführt werden: Die Frage, ob das Konzept der ostdeutschen Landesverbände, vor allem von Höcke in Thüringen, auch in den westlichen Bundesländern der AfD mehr Stimmenanteil bringen würde - oder im Gegenteil, die AfD zu einer Art „Lega Ost“ verkommen würde.
Die Argumente sind immer die gleichen.

 

Pro Höcke: Nirgendwo steht die AfD besser da, als in Thüringen und Sachsen, somit hat der Höcke-Flügel schon unter Beweis gestellt, dass nur so Wahlen zu gewinnen sind.
Contra: Was im Osten funktioniert, schreckt im Westen eher ab. Im Westen wählen wohlhabendere Schichten die AfD, insbesondere im Süd-Westen. Und die wählen keine als national-sozialistisch, sondern eine als nationalkonservativ-liberal wahrgenommene Partei, die für Mittel- und Oberschicht und einen klar marktradikalen Kurs steht.

 

Fazit

 

Die AfD hat sich eine Kernwähler*innenschaft erarbeitet. Diese wählt AfD, egal was kommt. Aber um nicht auf diese limitiert zu sein, muss die Partei andere Wähler*innen erreichen. Dabei ist die Partei oft auf äußere, von ihr nicht beeinflussbare Ereignisse wie Migration, Krieg und Wirtschaftskrise angewiesen. In zehn Jahren hat sie es nicht geschafft, sich inhaltlich spürbar breiter aufzustellen, inhaltlich an Substanz zu gewinnen.

Das ist kein Grund zur Entwarnung. Die inhaltliche Unterfütterung kommt nach und nach aus den tiefsten antidemokratischen und rechtsextremen Zirkeln innerhalb und außerhalb der Partei. Und trotz der geringen inhaltlichen und teils auch personellen Substanz liegt die Partei bundesweit in Umfragen bei 15 Prozent, in drei Bundesländern würde sie aktuell stärkste Partei. Die Gefährdung der Demokratie ist nicht abgewendet – im Gegenteil.

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