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Opferfonds CURA

Schweineköpfe, Steine, Morddrohungen

Antimuslimischer Rassismus in Deutschland

Ein Schweinekopf hängt eines Morgens an der Eingangstür des Lebensmittelladens von Frau T. Die Drohung, die die Brutalität dieser Tat ausstrahlt, ist mit Händen zu greifen. Frau T. betreibt ein Geschäft in einer mittelgroßen Stadt in Bayern. Muslimfeindliche Übergriffe dieser Art sind jedoch deutschlandweit verbreitet. Immer wieder werden Schweineköpfe vor Moscheen platziert oder diese mit Schweineblut beschmiert.

Das Ausmaß des Problems unterstreichen die Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt bei ihrer heutigen Pressekonferenz: Mit 1212 rechten Übergriffen im Jahr 2018 allein in Ostdeutschland und Berlin haben die Vorfälle im Vergleich zum Vorjahr zugenommen. Fünf Menschen werden im Schnitt täglich angegriffen. Rund zwei Drittel der Übergriffe seien rassistisch motiviert. Diese Zahlen sind keine Überraschung für Susanne Steinbach von der Türkischen Gemeinde in Deutschland. Bei einem Großteil der rassistisch motivierten Straftaten handelt es sich ihrer Einschätzung nach um antimuslimischen Rassismus.

Muslim*innen sind das Feindbild der „Neuen“ Rechten. Susanne Steinbach verweist auf das Manifest des Attentäters von Christchurch, in dem dieser sich explizit an Türk*innen wendet und ihnen mit Gewalt droht, sollten sie nach Europa kommen. Das Phantasma des „großen Austauschs“ – so auch der Titel des Manifests des Rechtsterroristen – durchzieht rechtsextreme Gruppierungen weltweit, auch die Identitäre Bewegung in Deutschland. Die Verschwörungstheorie behauptet, dass die weiße Bevölkerung in Europa durch Zuwanderung ersetzt werden solle. Migrant*innen, aber auch schon eingewanderte Minderheiten, werden dabei als (meist muslimische) geburtenstarke Invasor*innen dargestellt. Dieses Bild schürt Angst, Hass und erzeugt Handlungsdruck – und trägt durch die damit einhergehende Mobilisierung der Neuen Rechten zu einer besonderen Enthemmung rechter Gewalt bei. Dies zeigt zum Beispiel die Tat des Attentäters von Christchurch, bei der 50 Menschen getötet und zahlreiche weitere zum Teil schwer verletzt wurden.

Vertrauensverlust in staatliche Institutionen

In Bayern meldet Frau T. den Vorfall bei der Polizei. Trotz der eindeutigen Indizien möchte diese sich nicht festlegen, ob es sich bei dem Angriff auf Frau T. um eine politische Straftat handelt, und ermittelt nachlässig. Einige Wochen später werfen Unbekannte Steine, getarnt als Schneekugeln, auf die Scheibe des Geschäfts. Frau T. sitzt direkt dahinter, die Scheibe hält zum Glück stand. Die Polizei ermittelt nun wegen versuchter Sachbeschädigung, nicht wegen versuchter Körperverletzung. Tags darauf kommt es erneut zu einem Steinwurf. Immer wieder kleben auch muslimfeindliche Aufkleber an der Ladentür. Gemeinsam mit der Beratungsstelle B.U.D. für Opfer rechtsextremer Gewalt geht Frau T. abermals zur Polizei. Sie hat jedoch weiterhin den Eindruck, dass diese nicht sonderlich bemüht ist, die Angriffe aufzuklären.

Muslim*innen und Menschen, die für Muslim*innen gehalten werden, erfahren in Deutschland häufig Hass ­– auf mehreren Ebenen: Neben der alltäglichen Diskriminierung in Behörden, auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt sind sie regelmäßig Bedrohungen, Beleidigungen und Angriffen ausgesetzt. Dazu gehören Brandanschläge auf Moscheen, diffamierende Schmierereien auf Wohn- und Gebetshäuser, Sachbeschädigungen, Angriffe auf Frauen mit Kopftuch und Drohbriefe. Zuletzt haben u.a. die Anwältin Seda Basay-Yildiz, die im Prozess gegen den sogenannten Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) mehrere Opfer vertreten hat, und die Comedienne und Schauspielerin Idil Baydar Morddrohungen erhalten – unterschrieben mit „NSU 2.0“ und „SS-Obersturmbannführer“. Das ist besonders besorgniserregend vor dem Hintergrund, dass der NSU-Komplex immer noch nicht aufgeklärt ist, rechtsextreme Netzwerke weiterhin aktiv sind und Verstrickungen mit Behörden immer wieder bekannt werden. Vielen muslimischen Menschen und solchen, die als muslimisch angesehen werden, fehlt in Deutschland zunehmend das Vertrauen in den Schutz durch staatliche Institutionen. Sie behaupten sich gegen den alltäglich erlebten Rassismus – sicher fühlen können sie sich aber häufig nicht.

Der Opferfonds CURA engagiert sich gegen muslimfeindliche Gewalt

Auch Frau T. fühlt sich nach den wiederholten Angriffen nicht mehr sicher. Aus diesem Grund hat sie sich gemeinsam mit ihrer Beratungsstelle an den Opferfonds CURA gewandt. Er unterstützt Betroffene rechter Gewalt schnell und unbürokratisch: „Neben der finanziellen Unterstützung für Behandlungs- und Anwaltskosten oder für die Erstattung von dringend benötigtem Eigentum hat CURA eine wichtige ermutigende Wirkung. Es geht darum, den Betroffenen zu vermitteln, dass ihre Situation gesellschaftlich anerkannt wird und sie nicht allein gelassen werden“, so Sarah Haupenthal, die den Opferfonds bei der Amadeu Antonio Stiftung betreut. Frau T. möchte sich von dem bewilligten Geld eine Kamera und einen Bewegungsmelder anschaffen, damit sie sich in ihrem Geschäft geschützter fühlt. Außerdem braucht sie das Geld, um eine Anwältin zu finanzieren, die die nachlässige Ermittlungsarbeit der Polizei voranbringen soll.

Frau T. steht mit ihrer Erfahrung nicht allein da. Das Bundesinnenministerium registriert sogenannte islamfeindliche Straftaten erst seit 2017 gesondert. Laut den offiziellen Angaben kam es im Jahr 2018 bis November zu fast 800 islamfeindlichen Straftaten. Die Täter*innen waren fast immer Rechtsextremist*innen. Allerdings machen Selbstorganisationen von Betroffenen deutlich, dass die offizielle Statistik bei weitem nicht das Ausmaß des antimuslimischen Rassismus abbildet. So liegen die Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik für 2017 weit hinter denjenigen der Beratungsstellen, obwohl diese nur Ostdeutschland und Berlin und nicht die gesamte Bundesrepublik abdecken. Jede dritte Moscheegemeinde sei nach eigenen Zählungen Ziel von Hassbotschaften oder Anschlägen gewesen, so Herr Mazyek von Zentralrat der Muslime in Deutschland. Viele Übergriffe werden von den Behörden nicht als „islamfeindlich“ eingestuft oder von den Betroffenen gar nicht erst zur Anzeige gebracht. Die Dunkelziffer dürfte aus diesem Grund um ein Vielfaches höher liegen.

Antimuslimischer Rassismus – kein Randphänomen

Dieser Verdacht wird durch mehrere Studien bestätigt. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass Muslimfeindlichkeit in Deutschland kein Randphänomen extremer Rechter, sondern in allen Bevölkerungsgruppen vertreten ist und in den letzten Jahren zugenommen hat. In der Leipziger Autoritarismus-Studie von 2018 stimmten 44,1 % der Befragten der Forderung zu, Muslim*innen die Zuwanderung nach Deutschland zu untersagen, in den neuen Bundesländern lag die Zustimmung sogar bei 50,7 %. Mehr als die Hälfte (nämlich 56 % der Befragten) teilten die Aussage: „Durch die vielen Muslime hier fühle ich mich manchmal wie ein Fremder im eigenen Land“. Diese Abwertung dürfte auch auf das Konto von Rechtspopulist*innen und Rechtsextremen in Deutschland und Europa gehen, die mit ihren Parteiprogrammen massiv Hass gegen Muslim*innen schüren. Die Hemmschwelle, antimuslimischen Rassismus in der Öffentlichkeit zu äußern und auch in gewaltvollen Taten umzusetzen, sinkt.

Das Attentat in Christchurch hat einmal mehr gezeigt, welchen zentralen Platz antimuslimischer Rassismus in rechtsextremen Ideologien einnimmt. Das Gefühl der existenziellen Bedrohung hat dadurch auch für Muslim*innen in Deutschland zugenommen. Der Schutz und die Stärkung von Betroffenen sind in diesen Zeiten von äußerster Dringlichkeit. Mit einer Spende an den Opferfonds CURA unterstützen Sie Betroffene rechter Gewalt ganz praktisch und setzen ein starkes Zeichen der Solidarität.

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Rassismus Tötet 16:9

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