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Interview

„Überforderte Atemlosigkeit“- Interview mit Alice Lanzke

Alice Lanzke ist freie Journalistin, Referentin und Lektorin. Bei den Neuen deutschen Medienmachern setzt sie sich für eine diversere Berichterstattung in deutschen Redaktionen ein. Ihre Themenschwerpunkte sind Migration, rassismuskritischer und diskriminierungssensibler Sprachgebrauch, Hate Speech in Sozialen Netzwerken sowie rechtspopulistische/rechtsradikale Kommunikationsstrategien.

Sie befassen sich mit rechtspopulistischen Kommunikationsstrategien. Wie kommunizieren solche Gruppen mit Medien – und lassen sich die Medien benutzen?

Zunächst einmal ist es für viele Menschen eine Überraschung, dass es rechtspopulistische Kommunikationsstrategien überhaupt gibt – immer noch wird die Professionalität der Rechten unterschätzt, weil in der Öffentlichkeit das Bild des tumben Nazis dominiert. Dass ein bestimmtes Narrativ – z.B. in der Flüchtlingsdiskussion – aber gerade gesellschaftlich die Oberhand hat, ist auch das Ergebnis geschickt orchestrierter rechter Kampagnen. In der Öffentlichkeit spielen Rechtsaußen-Akteure auf der Klaviatur klassischer Kommunikationsstrategien: von der Emotionalisierung über die Personalisierung, vom Themen-Hopping zur Selbstinszenierung als Tabubrecher. Journalist*innen werden dabei zum Feindbild gemacht, zu Vertreter*innen einer „Systempresse“, die vor allem in den Sozialen Netzwerken umgangen wird.

Berichten die Medien angemessen über Rechtspopulismus? Was hat sich seit dem Einzug der AfD und ihrer Rhetorik in den Bundestag verändert?

Mein Eindruck ist, dass die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen und das damit einhergehende Erstarken rechtspopulistischer Tendenzen zu Beginn viele Kolleg*innen verunsichert haben. Gerade die ersten Wahlergebnisse der AfD lösten in nicht wenigen Redaktionen eine überforderte Atemlosigkeit aus. Natürlich empfanden viele Menschen die AfD-Wahlerfolge als erschreckend – die Berichterstattung vermittelte jedoch manchmal nahezu den Eindruck, die AfD hätte die jeweiligen Wahlen gewonnen. Zudem ließen sich die Medien nicht selten von den Strateg*innen der AfD vor den Karren spannen, indem sie voller Erregung über die neuesten skandalträchtigen Äußerungen berichteten. Sie blendeten dabei aus, dass doch gerade das das Kalkül des Rechtspopulismus ist: Er braucht die öffentliche Aufmerksamkeit, das Erregungsmoment.

Seit dem Herbst 2017 sitzt die AfD nun im Bundestag. Seither hat sich der mediale Umgang etwas beruhigt – eine Entwicklung, die allerdings durchaus zweischneidig ist. Zwar ist es zum einen begrüßenswert, die von der AfD gewollte Empörungsspirale nicht noch zu bedienen. Zum anderen haben sich aber einige Redaktionen entschieden, die AfD wie eine ganz normale Partei zu behandeln – und das ist sie eben nicht. Dabei geht es noch nicht einmal um ihre politische Ausrichtung, sondern vielmehr darum, dass hier eine Partei in den Bundestag eingezogen ist, zu deren politischer Agenda es gehört, die Medien als Feinde zu betrachten. Immer wieder werden berichterstattende Kolleg*innen bei AfD-Veranstaltungen angegriffen, versuchen Partei-Vertreter*innen, die Presse in ihrer Arbeit zu behindern. Eine Berichterstattung auf Augenhöhe ist so unmöglich. Eine Partei, die sich den Regeln des demokratischen Diskurses, zu dem die Medien gehören, entzieht, ist keine normale Partei. Und das sollte sich in der Berichterstattung widerspiegeln.

Ebenso widerspiegeln sollte sich, wie der Einzug der AfD in den Bundestag die politische Rhetorik so gut wie aller anderen Parteien verändert hat. Dass wir plötzlich über vermeintlichen „Asyltourismus“ diskutieren, kann die AfD als kommunikativen Gewinn für sich verbuchen – obwohl vor allem Vertreter*innen der CSU den Begriff in die öffentliche Debatte einbrachten. Doch die Grenzen des Sagbaren werden eben gesamtgesellschaftlich verschoben. In dem Zusammenhang kann ich nicht nur Journalist*innen empfehlen, sich mit den Theorien zum politischen Framing zu beschäftigen. Und diese Beschäftigung findet ja tatsächlich auch schon statt. Das ist eine positive Folge der beschriebenen Veränderungen: Journalist*innen machen sich Gedanken über diskriminierungssensiblen Sprachgebrauch, über die Wirkung ihrer Berichterstattung, reflektieren öffentlich den Unterschied zwischen Meinung und Haltung – was uns in meinen Augen nur gut tun kann.

Wie sieht für Sie ein professioneller Umgang mit kontroversen Themen wie Flucht und Asyl aus?

Gefordert sind hier die gleichen Kriterien wie in jedem anderen Bereich des professionellen Journalismus: angemessen, präzise und wertfrei. Das betrifft auch die Sprache der Berichterstattung – sie sollte die von Populist*innen angestrebte Polarisierung nicht noch vorantreiben. Das klingt nach Selbstverständlichkeiten, doch was wir als Neue deutsche Medienmacher feststellen, ist, dass die Sprache des Rechtspopulismus Eingang in die Berichterstattung findet, wenn man nicht verteufelt aufpasst. Ich erwähnte schon, dass wir plötzlich den unsäglichen Begriff des „Asyltourismus“ in der öffentlichen Debatte fanden. Nur ein Beispiel für einen im besten Fall gedankenlosen oder aber bösartigen Sprachgebrauch, der die Flucht vor Krieg und Folter zur Urlaubsreise umdeutet. Um hier für mehr Sensibilität und Aufklärung zu sorgen, haben wir ein Glossar mit Formulierungshilfen für die Einwanderungsgesellschaft entwickelt, das ich allen Medienschaffenden nur ans Herz legen kann.

Professionalität betrifft natürlich nicht nur die Sprache, sondern auch verwendete Bilder, Perspektivreichtum, Kontexte und natürlich die Themenwahl. Denken wir etwa an die Zahl der politischen Talkshows zu Migrationsthemen oder daran, wie oft AfD-Vertreter*innen dazu eingeladen werden, so entsprechen diese weder tatsächlichen politischen Machtverhältnissen noch den Interessen der meisten Bürger*innen. Vor der bayerischen Landtagswahl gefragt, was das größte Problem im Freistaat ist, antwortete beispielsweise die Mehrheit der befragten Bayer*innen, Ministerpräsident Markus Söder und die CSU – und eben nicht das Thema Flüchtlinge.

 

 

Was empfehlen Sie Ihren journalistischen Kolleg*innen, um rechtspopulistischen Kommunikationsstrategien nicht auf den zu Leim gehen?

Wir als Journalist*innen ordnen ein, analysieren, und wir erzählen Geschichten. Damit ist es unsere Aufgabe, den einfachen Schwarz-Weiß-Narrativen der Rechtspopulist*innen und Rechtsextremen nicht nur Fakten entgegenzustellen, sondern auch Gegennarrative, die der Vielfalt unserer heutigen Gesellschaft entsprechen.

Ein weiterer Punkt: Wir plädieren für eine gut informierte Berichterstattung, die auch Hintergründe darstellt. Das klingt erst einmal wie eine Selbstverständlichkeit, die aber doch immer wieder betont werden muss.

Meiner Meinung nach würde es helfen, in den Medien mehr unterschiedliche Perspektiven darzustellen, nämlich die von Menschen mit Migrationsgeschichte. Nach den Vorfällen zu Silvester in Köln habe ich genau einen Bericht gefunden, bei dem Menschen aus den migrantischen Communitys nach ihrer Sicht der Dinge gefragt wurden. Ich selbst bin Deutsche mit Migrationsgeschichte. Angesichts der rechtspopulistischen Wahlerfolge, der Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte und der Masse an rechter Hate Speech in Sozialen Netzwerken mache ich mir Sorgen – ich würde mich also tatsächlich als besorgte Bürgerin bezeichnen. Meine Ängste habe ich in der aktuellen Berichterstattung aber noch nicht wiederfinden können.

Auf Grundlage vieler Diskussionen mit Vertreter*innen aus Medien, Wissenschaft und der Praxis haben die Neuen deutschen Medienmacher ein Glossar mit Formulierungshilfen für die Einwanderungsgesellschaft entwickelt. Das Glossar ist abrufbar unter www.neuemedienmacher.de/wissen/wording-glossar.

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