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Hintergründe

Was die Sächsischen Kommunalwahlen für die demokratische Zivilgesellschaft bedeuten

Photo: Maximilian Scheffler via Unsplash

In Sachsen werden zwischen Mai und Juli 2022 in zahlreichen Kommunen und Landkreisen Bürgermeister:innen und Landrät:innen neu gewählt. Damit sind die Wahlen, nach den Landtagswahlen von 2019, ein erster Stimmungstest zur politischen Lage in Sachsen. Zudem sind dies die ersten größeren Wahlen nach dem Beginn der globalen Corona-Pandemie und den damit einhergehenden gesellschaftlichen Konflikten.

Mit Spannung wird in einigen Kommunen und Landkreisen zu beobachten sein, welche:r Bewerber:in sich durchsetzen wird. Ähnlich wie in den Vorjahren treten zu den Wahlen auch rechte beziehungsweise extrem rechte Kandidat:innen an. Erstmals engagiert sich auch die 2021 gegründete rechtsextreme Kleinstpartei „Freie Sachsen“. Zu Beginn des Jahres informierte diese über ihre Internetseite und ihren Telegram-Kanal, dass es möglich sei, als angeblich freier Kandidat anzutreten, dabei aber von den Freien Sachsen unterstützt zu werden. Es bleibt abzuwarten, in wie weit es der Partei gelingt, Kapital aus den coronakritischen Demonstrationen der Jahre 2020 und 2021 zu schlagen. Doch auch die rechte AfD wird bei den Wahlen versuchen, das eine oder andere Rathaus beziehungsweise Landratsamt zu erklimmen. Schließlich versucht die Partei damit, ihrem Anspruch als sächsische Volkspartei gerecht zu werden. Unabhängig davon bangen vor allem engagierte Menschen aus der Zivilgesellschaft ob der Wahlausgänge in diversen Kommunen und Landkreisen.

Kommunalwahlen genießen (leider) traditionell weniger Aufmerksamkeit als Landtags- oder Bundestagswahlen. Noch immer denken viele Menschen, dass es bei diesen Wahlen gar nichts zu entscheiden gebe. Doch diese Betrachtung ist weder richtig noch harmlos. Bereits die rechtsextreme NPD wusste um die Bedeutung der Kommunalwahlen. Deutschlandweit gelang es in den 1990er oder 2000er Jahren, Hunderte Kommunalmandate zu erringen. Damit schaffte es die Partei, für sich und ihre Anhänger eine lokale Verankerung zu schaffen. Schon damals galt: Je weniger nicht-rechte Menschen zur Wahl gehen, desto stärker können extrem rechte oder rechte Kandidat:innen abschneiden. In Sachsen darf durchaus die These ausgesprochen werden, dass der zweimalige Einzug der rechtsextremen NPD in den sächsischen Landtag undenkbar gewesen wäre, wenn sich die Partei nicht vorher auf der kommunalen Ebene engagiert hätte. Was damals für die NPD galt, gilt heute für die AfD oder die Freien Sachsen umso mehr. Jedoch kommt heute noch eine entscheidende Verschärfung hinzu. Beide Parteien wollen die Kommunalpolitik beziehungsweise mögliche Spitzenposten in den Landkreisen oder Kommunen dafür nutzen, eine Art radikale Opposition gegen die Landespolitik zu führen. Ermutigt durch die Zustimmung auf den coronakritischen Protesten will man damit gewissermaßen die Macht des Staates und seiner Organe unterlaufen, um nicht zuletzt eigene Machtansprüche geltend zu machen. Im Wahlkampf spielte vor allem die Ablehnung der staatlichen Coronapolitik eine Rolle, zukünftig dürften auch Themen wie Umweltpolitik oder der Krieg in der Ukraine hinzu kommen. Rechte Parteien schaffen es damit, eine seit Jahren bestehende Schwäche beim Image von Kommunalpolitik zu kaschieren: Die angebliche Bedeutungslosigkeit. So wird den Menschen vermittelt, dass Kommunalpolitik durchaus etwas ändern kann, was verstärkt wahlmobilisierend wirken könnte. Anstelle von rechter Raum- oder Machtergreifung wäre es aber auch möglich, ganz andere Erzählungen zu schaffen, wie beispielsweise die Vision einer klimaneutralen, ökologischen, nachhaltigen und sozialgerechten Kommune in fünf oder zehn Jahren. Einige demokratische Kandidat:innen tun dies bereits.

Und noch aus einem anderen Grund heraus ist die Deutung der Kommunalpolitik als wirkungsarm problematisch. Insbesondere zivilgesellschaftliche Kräfte haben in Sachsen immer wieder erfahren, dass sie in Rathäusern oder Landratsämtern nicht nur nicht beliebt sind, sondern dass sie auch als so genannte Netzbeschmutzer:innen bezeichnet werden. Nach wie vor gibt es in Sachsen Landkreise oder Kommunen, in denen es nicht einfach ist, das Problem des Neonazismus oder das der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit anzusprechen. Wer das dennoch tut, riskiert die ohnehin prekären Fördermittel oder die Möglichkeit, vor Ort Veranstaltungen zu machen. Exemplarisch sei hier genannt, dass es in letzter Zeit immer wieder zu unschönen Szenen im Kontext der Partnerschaften für Demokratie (PfD) kam. Hier nutzte dann beispielsweise eine konservative oder rechte Ratsmehrheit die Chance, unliebsame Projekte zu erschweren oder gänzlich zu verhindern. Dies zeigt besonders deutlich, wie wichtig es ist, dass demokratische Zivilgesellschaft Verbündete in den Rathäusern oder Landratsämtern vorfinden kann. Verbündet heißt nicht, dass man jedes Ziel der Initiativen oder Vereine teilen muss, aber dass man diese ungehindert ihre Arbeit machen lässt. Des Weiteren lässt sich hieran erkennen, dass auch das Ziel, wie es beispielsweise in der neuen Richtlinie des Weltoffenen Sachsen (WOS) formuliert ist, dass Zivilgesellschaft und staatliche Stellen zusammenarbeiten, nicht überall problemlos möglich ist. Zivilgesellschaft muss die Chance haben, vor Ort Missstände und Probleme anzusprechen, auch und gerade gegen die Sichtweise von Bürgermeister:innen oder Landrät:innen. Von Seiten der Landesregierung wäre zu erwarten, sich dieser Problematik, nicht nur im Kontext der Kommunalwahlen, bewusst zu sein.

Zusammenfassend lässt sich resümieren: Kommunalpolitik ist wichtig und hat Einfluss. Insbesondere für Engagierte der Zivilgesellschaft bleibt zu hoffen, dass bei diesen Wahlen in den Landkreisen oder Rathäusern demokratische Kandidat:innen die Oberhand behalten. Davon unabhängig braucht es Strukturen, welche die Arbeit von Zivilgesellschaft stärken und ermöglichen.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst als Editorial des Newsletters des Netzwerkes Tolerantes Sachsen.

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