Die Staatsanwaltschaft Berlin hat vor einigen Tagen ihr Verfahren gegen Till Lindemann eingestellt. Dabei handelte es sich um ein Strafverfahren, das basierend auf entsprechenden Strafanzeigen von Seiten Dritter „nicht am Tatgeschehen beteiligter Personen“ eingeleitet wurde. Im Rahmen der Einstellung wurde mitgeteilt, dass keine der unmittelbar von strafrechtlich relevanten Handlungen betroffenen Personen bereit war, mit der Staatsanwaltschaft in Kontakt zu treten und keine Strafanzeige vonseiten direkt Betroffener gestellt wurde.
Wie leider zu erwarten war, wird diese Nachricht nun von rechten Medien und “Influencern” wieder einmal dazu genutzt, um einerseits mutmaßlich Betroffene zu diffamieren und andererseits Bemühungen zur Unterstützung der Betroffenen durch die Spendenkampagne “Wie viel Macht 1 €?” zu delegitimieren.
Aber wie lässt sich die Nachricht über die Einstellung einordnen?
Wie aus der jahrzehntelangen Beratungsarbeit mit Gewaltbetroffenen insgesamt und Betroffenen von sexistischer und sexualisierter Gewalt im Besonderen bekannt, ist die Hemmschwelle eine Anzeige zu erstatten – und sich damit dem Prozess einer juristischen Prüfung auszuliefern – sehr hoch. Scham und die Angst vor Repressalien durch die Täter, vor Reaktionen des Umfeldes und vor psychischen und materiellen Belastungen durch ein Strafverfahren können Gründe sein, warum Betroffene ihre Erlebnisse für sich behalten. Dies ist auch dem gesamtgesellschaftlichen Umgang mit sexualisierter Gewalt geschuldet.
Dass Verfahren zu sexualisierter Gewalt eingestellt werden, ist leider traurige Realität. Nur 10 % der Fälle werden in Deutschland angezeigt, die wenigsten werden ausreichend verfolgt und in davon nur 8 % der angezeigten Fälle kommt es letztendlich zu Verurteilungen. Zahlen und Fakten dazu liefert unser Partner, der Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe – Frauen gegen Gewalt.
Umso sensibler ist die Unterstützungsarbeit für Betroffene. Betroffene brauchen zunächst ein sicheres Umfeld, ausführliche Beratungen zum Vorgehen und Sondieren ihrer rechtlichen Möglichkeiten, psychologische Begleitung. Dass dies Zeit in Anspruch nimmt und keine schnellen “Ergebnisse” liefert, liegt auf der Hand.
Dennoch wird versucht, die Bemühungen um die Unterstützung Betroffener zu delegitimieren und sich dabei vor allem an der erfolgreichen Spendensammlung öffentlich abgearbeitet. Der Vorwurf, dass wir Spendengelder veruntreuen würden, ist falsch und arglistig. Seit Monaten arbeiten wir intensiv daran, möglichst vielen Betroffenen Zugang zu der finanziellen Unterstützung, die sie in ihrer Situation brauchen, zu ermöglichen. Diese Arbeit verliert an keinerlei Berechtigung angesichts der Nachricht über die Einstellung des Verfahrens, im Gegenteil, ihre Notwendigkeit wird dadurch weiter bestätigt.
Neben der finanziellen Unterstützung geht es auch darum, einen Rahmen zu schaffen, in dem Betroffene auf professionelle Begleitung zurückgreifen können. Betroffene brauchen zunächst ein sicheres Umfeld, Beratungen zum Vorgehen und Sondieren ihrer rechtlichen Möglichkeiten, um eventuelle strafrechtliche Schritte einzuleiten. Wir sind dabei, unser Angebot für Betroffene weiter auszubauen und nachhaltige Strukturen zu schaffen.
Aus Gründen des Betroffenenschutzes können wir keine detaillierten Angaben zu unserem Austausch mit Betroffenen machen. Eine öffentliche Kommunikation ist nur möglich, wenn Betroffene dies explizit wünschen.
Mit den Angriffen auf unsere Arbeit soll das Ansinnen der Kampagne diffamiert werden. Und damit wird – wie so oft – das Erleben und die Bedürfnisse von Betroffenen verächtlich gemacht. Seit Monaten bekommen Menschen, die sexualisierte Gewalt erfahren haben, vor allem mit, dass ein großer Teil der Gesellschaft sich mit den Tätern solidarisiert und dass das, worüber Betroffene gerade berichten, keine Gewalt sei.
Das traumatisiert, das ist schmerzhaft – und es entmutigt, darüber offen zu sprechen. Und damit sich genau das ändert, machen wir mit dem Projekt weiter, für das uns die zahlreichen Spender*innen im Rahmen der Kampagne unterstützt haben.