„Wir hoffen, dass wir wieder enger zusammenrücken können“ – Newsletter zum Jahreswechsel 2020/21
In eigener Sache
Liebe Leserinnen und Leser,
das Jahr unterscheidet sich von allen Jahren, die wir kennen, denn es hat uns mit dem Unvorhersehbaren konfrontiert. Die Pandemie ist kein lokales Ereignis, keine Katastrophe, auf die wir seit Langem sehenden Auges zusteuern. Sie kam plötzlich und ließ die Welt klein erscheinen, denn wir teilen alle eine gemeinsame Erfahrung. Dieses Jahr zeigt, dass die Menschen und zwar nicht nur als Einzelne, sondern als ganze Gattung, gemeinsam verwundbar sind. Und doch traf die Pandemie nicht alle gleich: Vielerorts waren die, die es ohnehin schwerer haben, etwa durch Armut, Rassismus oder psychische Erkrankung, besonders heftig von der Pandemie betroffen.
Auf das Jahr 2020 kann man nicht einfach so zurückblicken, wie auf jedes andere in unserem Leben. Es hat uns etwas verdeutlicht, was seit vielen Jahrzehnten nicht mehr zu unseren persönlichen Erfahrungen gehört. Es gibt Dinge außerhalb des Üblichen, so furchtbar sie auch sein mögen, mit denen wir nicht gerechnet, die wir uns nicht haben vorstellen können. Die Pandemie haben wir nicht kommen sehen. Und von all den Dingen, die am Corona-Jahr so ermüdend sind, ist der Schreck darüber, etwas Unvorhergesehenem ausgeliefert zu sein, wohl besonders anstrengend. Manche Jahre sind voller dramatischer Ereignisse, manche bringen Überraschungen hervor. Dennoch: Die Jahresrück- und Ausblicke in den Rundfunk- und Fernsehanstalten kennen seit langem nur Variationen der gleichen Ereignisse. Klimaveränderungen und ihre dramatischen Folgen hier oder in Australien, Flüchtlingskatastrophen, lokale Kriege, Machtwechsel in verschiedenen Ländern, Terroranschläge, Rassismus, Antisemitismus. Das alles hat auch 2020 geprägt. Die globale Pandemie kam oben drauf. Diese Rückblicke anzuschauen ist schwer, denn sie sind voll von Unrecht, Tod und Katastrophen. Manches davon geht uns direkt unter die Haut, anderes lässt uns nur hilflos zurück.
In Deutschland gehörte dazu für viele Menschen der Anschlag von Hanau im Februar, bei dem ein Rechtsextremist zehn Menschen ermordete. Er war ein Rassist, Verschwörungsideologe und Frauenhasser. Er ist nicht nur eine Person, schon gar nicht ein Einzeltäter, sondern ein Symptom, ein Gradmesser radikalisierten Hasses, der sich überall in der Gesellschaft eingenistet hat.
Es hat lange gedauert, bis die Behörden die Gründe für die Tat ernst nahmen und Lippenbekenntnisse in Taten umsetzen. Vielleicht, wären die Opfer weiße Deutsche gewesen, wäre es schneller gegangen. Später im Jahr, bei den Corona-Protesten, hat uns getroffen, wie viele Menschen Verschwörungsmythen anhängen und wie egal ihnen bei den Statements und Demonstrationen die Nähe zu den Rechtsextremen war. Genauso erschüttert hat uns der Antisemitismus vieler Demonstranten, die schuldige Eliten ausmachen wollten und sich zynisch der Symbolik des Holocausts bemächtigten.
Damit eignen sie sich die Opfererzählung der Shoa an und sind gleichzeitig mit ihren Verschwörungsmythen strukturell antisemitisch. Dass diese besondere Form des Protestes gerade in Deutschland so verbreitet ist wie nirgendwo sonst, ist besorgniserregend. Neben dem Thema Antisemitismus ist hier auch sichtbar geworden, wie groß die Bereitschaft über die unterschiedlichsten Milieus hinweg bereits ist, sich aggressiver Unvernunft hinzugeben, die rücksichtslos ist und in Kauf nimmt, dass Menschen ihretwegen sterben könnten. Das muss man erstmal bringen.
Die Amadeu Antonio Stiftung wird sich deshalb auch 2021 gegen Menschenverachtung, Rassismus und Antisemitismus engagieren. Wir bedanken uns bei allen, die uns dabei unterstützen, gerade in diesen Zeiten, die viele Menschen sehr belasten. Wir hoffen darauf, dass uns 2021 wieder enger zusammen sein lässt, dass es keine weiteren bösen Überraschungen bringt, dass es friedlich wird und wir noch mehr Kraft haben, Rassismus und Antisemitismus zu überwinden.
Wir wünschen Ihnen ein starkes, gesundes und freundliches Jahr 2021.
Herzliche Grüße
Ihre Anetta Kahane
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