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Aktionswochen gegen Antisemitismus

Zivilgesellschaftliches Lagebild Antisemitismus #12: Jede Art von Antisemitismus in diesem Land bringt auch einen Ruf nach einem Schlussstrich mit sich

In diesem Sommer zeigte sich besonders deutlich, dass die Angriffe auf die Erinnerung die Arbeit der Gedenkstätten massiv behindern. Wöchentlich wurden zuletzt Hakenkreuz-Schmierereien in Buchenwald entdeckt. Das Thema verschwand dennoch für den Moment aus dem medialen Fokus. Der Grund: Am 7. Oktober überfiel die Terrororganisation Hamas die israelische Zivilbevölkerung. Der 7. Oktober bedeutet eine tiefgreifende Zäsur in der Geschichte Israels – mit drastischen Auswirkungen auch für Jüdinnen*Juden in Deutschland.

Das hat auch viel mit dem Thema dieses Lagebilds zu tun, wie aktuelle Vorfälle zeigen. Sie machen deutlich, wie das Gedenken an den Nationalsozialismus angegriffen wird, um gegen den Staat Israel zu agitieren. Israelbezogener Antisemitismus und Post-Shoah-Antisemitismus gehen oft Hand in Hand. Wegen Angriffen auf die Erinnerung von allen Seiten bekommt die Gedenkkultur Risse.

Die extreme Rechte will diese Risse im Gedenken. Risse werden mit der Zeit größer und tiefer. Spätestens 2017, mit der Dresdener Rede Höckes, wurde deutlich: Die extreme Rechte will noch mehr. Sie will die Gedenkkultur einreißen und dagegen eine Erinnerung setzen, die die Verbrechen der Nationalsozialisten relativiert. Das hat den Effekt, dass Gedenkstätten immer öfter zum Ziel von Angriffen und Vandalismus werden.

Momentan wird die Rolle der extremen Rechten kaum diskutiert, weil der Blick – aus gutem Grund – auf die islamistischen und linken Gruppierungen gerichtet ist, die den Hamas-Terror verherrlichen und eine Grundlage für weitere antisemitische Vorfälle in Deutschland schaffen. Im Windschatten der Terror-Verherrlichung setzt die extreme Rechte ihre Angriffe auf die Erinnerung fort. In der Gedenkstätte Ahlem in Hannover (Niedersachsen) wurden Ende Oktober mehrere Gedenktafeln mit Aufklebern überklebt. Neben „Befreie dich vom Schuldkult“ war ein Aufkleber mit einer Palästina-Fahne und den Worten „Free Palestine End Israeli Occupation“ zu lesen. Ein Aufkleber der Neonazi-Gruppierung Junge Nationalisten zeigte eine blutige Israel-Fahne mit der Parole „Israel mordet und die Welt schaut zu“.

„Nach dem Hamas-Terror vom 7. Oktober ist die Solidarität mit Jüdinnen und Juden in weiten Teilen der Gesellschaft erschreckend gering“, erklärt Dr. Nikolas Lelle, Projektleiter der Bildungs- und Aktionswochen gegen Antisemitismus der Amadeu Antonio Stiftung.Statt einer Welle der Solidarität erfahren Jüdinnen und Juden eine Welle des Hasses. Nicht nur auf deutschen Straßen, sondern global. Das hat auch Auswirkungen auf Shoah-Überlebende und das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus! Gedenkorte, die an die Shoah erinnern, werden mit israelfeindlichen Schmierereien und Stickern beschädigt.“

Immer wieder wird der Krieg gegen Israel mit Angriffen auf die Erinnerung verknüpft. Das Zivilgesellschaftliche Lagebild Antisemitismus #12 nimmt die Risse in der Erinnerung an den Nationalsozialismus in den Blick und ergänzt die aktuell geführte Antisemitismuskritik um eine spezifisch deutsche Facette: Jede Art von Antisemitismus in diesem Land bringt auch einen Ruf nach einem Schlussstrich mit sich.

Die fünf Kernbeobachtungen unseres zivilgesellschaftlichen Lagebilds Antisemitismus:

  1. Angriffe der extremen Rechten auf die Erinnerung | Rechtsextreme führen einen Deutungskampf um den Nationalsozialismus, um die Shoah und den Zweiten Weltkrieg. Ein Mittel ist die Umdeutung historischer Termini (z.B. „Zivilisationsbruch“). Ein Ziel der Umdeutungen ist, Alliierte zu Tätern und Deutsche zu Opfer zu machen. Der Deutungskampf trägt zur sukzessiven Verschiebung des Mach- und Sagbaren bei. Die gesellschaftspolitische Debatte um den Fall Aiwanger zeigt eindrücklich, was in Deutschland mach- und sagbar geworden ist.
  2. Die „Erinnerungskultur“ der extremen Rechten | Längst pflegen Rechtsextreme ihr eigenes Gedenken. Beispielhaft führt die Gedächtnisstätte, ein rechtsextremer Verein aus Thüringen, vor Augen, was das Gedenken umfasst – und nicht umfasst. Denn der Verein ist seit Jahren ein Hotspot der Shoahleugnung. Aus Deutschen, die teilweise schwerste Kriegsverbrechen begangen haben, werden Helden und Märtyrer gemacht. Die rechtsextreme Gedenkpraxis ist eine grundlegende Revision historischer Ereignisse.
  3. Angriffe auf die Erinnerung – Beispiel Thüringen | Antisemitische Vorfälle, die im Freistaat Thüringen registriert wurden, sind meist Vorfälle mit Bezügen zur Shoah. Die Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora sind besonders stark betroffen.
  4. Angriffe auf die Erinnerung – deutschlandweit | Inzwischen werden Orte zum Gedenken an die Opfer der Shoah zur Dauerzielscheibe antisemitischer Straftaten. Eine Auswahl gibt einen Einblick, wo und in welcher Form die Taten geschehen.
  5. Erinnerungspolitische Debatten in Deutschland | Die Debatten zur Shoah, die in den vergangenen Jahren geführt wurden, erschweren die Antisemitismusbekämpfung. Denn es geht in den Debatten nicht nur um eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und dessen Verbrechen. Es geht einigen auch darum, „Israelkritik“ zu entfesseln. Die Verharmlosung von israelbezogenem Antisemitismus ist regelmäßig Teil dieser Debatten.

Das Lagebild Antisemitismus ist immer mehr als eine pdf. Wir haben wieder ein Hintergrundgespräch geführt und dieses digital für euch aufbereitet. Das Interview mit Jens-Christian Wagner, dem Leiter der Gedenkstätten Buchenwald-Dora, gibt es schriftlich und als Audio-Highlight. Überzeugt euch selbst! Nähere Informationen gibt’s auf unserer Website: www.lagebild-antisemitismus.de

Das Lagebild wird im Rahmen der Bildungs- und Aktionswochen gegen Antisemitismus veröffentlicht, die durch den Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus gefördert werden.

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Nickolas(3)
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