Ein Jahr nachdem die Meldestelle Antifeminismus den Betrieb aufgenommen hat, veröffentlicht die Amadeu Antonio Stiftung ein erstes Lagebild zur Auswertung, 372 der in 2023 eingegangenen Meldungen wurden als antifeministische Vorfälle eingeordnet. Sie umfassen eine Bandbreite von Bedrohungen und Beleidigungen über antifeministische Mobilisierung bis hin zu Sachbeschädigung und Gewalt.
Kaum ein anderes gesellschaftspolitisches Feld wird derart massiv, aber gleichzeitig unbemerkt angegriffen, wie die Gleichstellungs-, Geschlechter- und Familienpolitik. Das Lagebild Antifeminismus berichtet über das Ausmaß und die Qualität menschenfeindlicher Angriffe gegen Frauen und feministisch Engagierte. In einer umfassenden Analyse zeigt es, wie sich Antifeminismus von frauenfeindlichen Meinungsäußerungen und Sexismus unterscheidet, und beleuchtet die dahinterliegenden Strategien, vielfältigen Erscheinungsformen und Auswirkungen.
Als zivilgesellschaftliches Dokumentations- und Unterstützungsnetzwerk erfasst die Meldestelle antifeministische Vorfälle in Deutschland und wertet sie systematisch aus. Ziel ist es, die Auswirkungen des breiten gesellschaftlichen Antifeminismus sichtbarer zu machen. Betroffene können auf Wunsch weiterführende Informationen und Unterstützung erhalten.
Fact Sheet:
Die wichtigsten Zahlen und Analysen auf einen Blick
Antifeminismus: Weltanschauung und politische Strategie
Antifeminismus ist eine Weltanschauung sowie eine (zumeist organisierte) Form von Gegenwehr und äußert sich in Einstellungen und Verhaltensweisen, die gegen die Umsetzung von Gleichstellung und Geschlechtergerechtigkeit gerichtet sind. Antifeminismus beschreibt also die Ablehnung oder teilweise organisierte Opposition gegen Frauenrechte und die Gleichberechtigung aller Geschlechter.
„Die Verbreitung und die Auswirkungen antifeministisch motivierter Angriffe werden dramatisch unterschätzt und kleingeredet. Wir haben erst begonnen, das Dunkelfeld zu erhellen. Schon jetzt zeigt sich, wie über Antifeminismus politisch Engagierte und Organisationen eingeschüchtert und bedroht werden, aber auch digitale, verbale und körperliche Angriffe erleben“, erklärt Judith Rahner von der Amadeu Antonio Stiftung. „Wenn sich Frauen und queere Menschen aus Politik, Journalismus und Aktivismus wegen der Angriffe aus der Öffentlichkeit zurückziehen, müssen wir von einer handfesten Bedrohung für Demokratie und gesellschaftliche Teilhabe sprechen. Politik und Sicherheitsbehörden sind jetzt gefragt, den Schutz von Lokalpolitiker*innen, Engagierten und auch Gleichstellungsbeauftragten zu gewährleisten.“
Durchschnittlich mehr als zwei valide Meldungen pro Tag
Das Angebot der Meldestelle wurde seit ihrem Start zum 1. Februar 2023 kontinuierlich genutzt. 814 der eingegangenen Meldungen sind als valider Vorfall bzw. verifizierte Betroffenen-Meldung dokumentiert worden. 372 dieser Meldungen wurden als antifeministischer Vorfall eingeordnet. Die anderen Meldungen zeigen ein weites Feld an Vorfällen und Schilderungen von Betroffenen aus dem Bereich geschlechtsspezifische Gewalt auf (211) sowie Vorfälle, die unter der Kategorie Sexismus, Diskriminierung, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (231) zusammengefasst werden.
Häufigste Motive Frauen- und Queerfeindlichkeit
Gemeldet wurden Gewalt, Bedrohungen, Beleidigungen, aber auch Sachbeschädigungen, sowie Benachteiligung und antifeministische Mobilisierung.
Frauenfeindliche, misogyne oder sexistische Botschaften (167) und Angriffe auf geschlechtliche und sexuelle Vielfalt (149) sind mit Abstand die häufigsten Sendungsinhalte der als antifeministisch eingeordneten Vorfälle, wobei bei den Vorfällen mit Blick auf die Botschaften Mehrfachzuordnungen möglich sind.
„Antifeminismus bezeichnet keine Meinung für oder gegen ‘den Feminismus’ und solche Meldungen sind für unsere Analyse auch nicht relevant. Antifeminismus ist eine antidemokratische Ideologie bis hin zu politischer Strategie“, führt Judith Rahner aus. „Antifeminismus kann sich in Wort und Tat gegen Frauen und queere Personen richten oder auch gegen Einrichtungen und Organisationen, die sich für Gleichstellung, gegen Sexismus oder für die Stärkung geschlechtlicher, körperlicher und sexueller Selbstbestimmung einsetzen. Betroffene berichten uns von einer breiten Palette von Beleidigungen über Bedrohungen bis hin zu Gewalt.“
Von digitaler bis zu körperlicher Gewalt
Unter den Fällen sind 12 Meldungen antifeministisch motivierter physischer Gewalt, wie der Angriff auf eine Frau, die ohne Vorwarnung zu Boden gestoßen und als „Lesbenfotze“ beschimpft wird. Unter den 16 erfassten Sachbeschädigungen sind Vorfälle wie ein Brandanschlag auf eine lesbische Fraueninitiative sowie eine Regenbogenflagge auf einem Bahnhofsvorplatz, die durch eine Hakenkreuzflagge ersetzt wurde. 133 Vorfälle von digitaler Gewalt umfassen beispielsweise die namentlich adressierten E-Mails mit frauenfeindlichen Beschimpfungen an Mitarbeiterinnen städtischer Einrichtungen oder Vergewaltigungsandrohungen gegen Klimaaktivistinnen in Online-Kommentaren.
Über 1.000 mal wurde das Meldeformular benutzt, um Angriffe gegen die Meldestelle selbst sowie gegen die Amadeu Antonio Stiftung und ihre Mitarbeitenden zu übermitteln. Ein großer Teil dieser Meldungen bedient sich selbst antifeministischer und anderer menschenfeindlicher Motive.
Datenschutz und Anonymisierung
Die Arbeitsweise und konzeptionelle Grundlage der Meldestelle wird im Lagebild ausführlich dargestellt. Die Auswertung von Meldungen erfolgt ausschließlich anhand anonymisierter Daten, die Speicherung personenbezogener Daten Dritter wird nicht vorgenommen.
Das Zivilgesellschaftliche Lagebild Antifeminismus erscheint im Rahmen des Verbundprojekts „Antifeminismus begegnen – Demokratie stärken“ der Amadeu Antonio Stiftung, des Gunda Werner Instituts in der Heinrich-Böll-Stiftung und Dissens – Institut für Bildung und Forschung e.V., das vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ gefördert wird.