Zivilgesellschaftliches Lagebild Antifeminismus 2023
Dokumentation und Analysen der Meldestelle Antifeminismus
Antifeminismus gibt es, seit es Feminismus gibt – in Europa also seit mehr als 200 Jahren. Seitdem ist viel geschehen in Sachen Gleichberechtigung. Aber der Kampf um die Gleichstellung der Frau ging schon immer auch mit Gegendiskursen und -bewegungen einher. So auch heute: Seine Gegner*innen machen den Feminismus für persönliche Probleme (z.B. Ehescheidungen) sowie für wirtschaftliche und soziale Probleme der Gesellschaft insgesamt verantwortlich. Antifeminismus kann sowohl gegen Feminismus als kollektive Bewegung gerichtet sein als auch gegen die konkrete Frauen- und Gleichstellungsarbeit.
Unter Antifeminismus werden soziale Bewegungen oder gesellschaftliche, politische, religiöse und akademische Strömungen verstanden, die sich organisiert gegen Feminismus wenden. Antifeminismus richtet sich gegen feministische Anliegen, wie beispielsweise die Beseitigung von Sexismus, die Umsetzung von Gleichberechtigung oder die Stärkung weiblicher Selbstbestimmung.
Für eine Gesellschaft der Gleichberechtigung und Vielfalt
Gleichberechtigung gehört zu einer demokratischen Gesellschaft und ist nicht verhandelbar. Rechtsextreme und rechtspopulistische Strömungen sehen hierin jedoch eine Gefahr für eine Ordnung, die Männer privilegiert und Frauen unterordnet. Ihre Ablehnung richtet sich gegen die Gleichstellung der Frauen genauso wie gegen geschlechtliche und sexuelle Vielfalt. Rechtspopulismus, Rechtsextremismus, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Gender müssen deshalb zusammengedacht werden. Alle Geschlechter sollen in unserer Gesellschaft gleichberechtigt und frei von Diskriminierung leben können - dasselbe gilt für Menschen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen. Gegenwärtig gibt es jedoch noch diverse gesellschaftliche Gruppierungen, die den Abbau von Ungleichwertigkeit zwischen den Geschlechtern verhindern wollen.
Sexistisch, frauenfeindlich, queerfeindlich. Menschenfeindliche Botschaften, Angriffe auf Gleichstellung, politische Strategien gegen Emanzipationsbestreben. Antifeminismus zeigt sich vielfältig.
Antifeministische Vorfälle können sich u.a. als sexistisch und frauenfeindlich motivierte Übergriffe äußern. Darüber hinaus beziehen sie sich häufig auf ein konkretes Ereignis (Veranstaltungen, Gesetzesreformen, öffentliche Auftritte, Äußerungen oder Veröffentlichungen usw.) und lassen dabei ein organisiertes Vorgehen bzw. eine dahinterliegende politische Strategie erkennen.
Antifeministische Angriffe transportieren eindeutige Botschaften gegen die Gleichstellung aller Geschlechter, Selbstbestimmung sowie Sichtbarkeit und Anerkennung marginalisierter Menschen.
Als bundesweite Meldestelle dokumentieren wir antifeministische Vorfälle. Mit Ihrer Hilfe machen wir antifeministische Zustände sichtbar und setzen uns gemeinsam für Geschlechtergerechtigkeit und Selbstbestimmung ein.
Für eine Meldung auf unserer Seite antifeminismus-melden.de sind jedoch keine bestimmten Voraussetzungen zu erfüllen – eine einfache Beschreibung des Vorfalls ist zunächst ausreichend (siehe auch „Wie läuft die Meldung ab?“). Für die Einstufung als antifeministisch werden die Vorfälle nach den oben genannten Merkmalen geprüft und eingeordnet.
Antifeminismus ist kein Straftatbestand. Wir erfassen Fälle, unabhängig davon, ob sie angezeigt wurden und unabhängig davon, ob sie einen Straftatbestand erfüllen oder unter der sogenannten Strafbarkeitsgrenze liegen. Relevant ist die antifeministische Dimension. Im Mittelpunkt stehen die Erfahrungen der Betroffenen.
Dokumentation und Analysen der Meldestelle Antifeminismus
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Scrollytelling
Alles rund um Rechte Frauen: Unser Scrollytelling zu Frauen in der extremen Rechten
Sie melden rechtsextreme Demos und Aufmärsche an, kundschaften mögliche Anschlagsziele aus, betreiben Blogs, Instagram-Chanels und YouTube-Kanäle und bekleiden hochrangige Ämter in entsprechenden Parteien: Frauen übernehmen die unterschiedlichsten Funktionen in der extremen Rechten. Trotzdem werden sie noch immer unterschätzt und häufig übersehen, denn fällt das Stichwort Rechtsextremismus, denken viele Menschen nach wie vor ausschließlich an Männer mit Springerstiefeln und Glatze.
Frauen nehmen nicht nur unterschiedlichste Rollen und Funktionen bei der extremen Rechten ein, sie bedienen auch verschiedene Themen und mobilisieren zu vermeintlich „weiblichen“ Belangen.
Wo rechtsextreme Frauen aktiv sind, zeigt unser Scrollytelling. Es bietet einen Überblick über die verschiedenen Ebenen weiblicher Beteiligung in der extremen Rechten und Hinweise zum Weiterlesen. Dass Stereotype von „friedfertigen Frauen“, „harmlosen sorgenden Müttern“ in diesem Kontext die dahinterstehende menschenfeindliche Einstellung kaschieren können und es gerade Frauen ermöglicht unentdeckt zu agieren, wird mit allen Betätigungsebenen auf einen Blick besonders deutlich.
Beim Scrollytelling zu Frauen in der extremen Rechten handelt es sich um keine klassische Publikation, sondern um eine interaktive Website, die unser Wissen zu Rechten Frauen bündig, interaktiv und intuitiv aufbereitet:
Antifeministische Behauptungen erkennen und widerlegen?
Mit unserem Online-Tool gegen-antifeminismus.de
Geschlechtsspezifische Gewalt ist in Deutschland immer noch ein Randthema, das eher wenig politische Aufmerksamkeit erfährt. Aber Achtung! Für Antifeminist*innen ist das Thema ein gefundenes Fressen, um rassistisch und queerfeindlich zu hetzen und sich selbst als die „Retter*innen der Frauen“ oder gar „des deutschen Volkes“ darzustellen. Dabei nutzen sie Verallgemeinerungen oder schlichtweg Fake News. So seien vermeintlich nur bestimmte Männer gewalttätig gegenüber Frauen, siehe Kölner Silvesternacht. Oder das Selbstbestimmungsgesetz für trans Menschen würde vermeintlich Gewalt gegen cis Frauen auf öffentlichen Toiletten fördern. Und sowieso ist am Ende der Feminismus am Ende an allem schuld.
Das antifeministische Argumentationslabyrinth kann durchaus sehr verwirrend sein. Damit ihr gut vorbereitet seid, wenn ihr mit solchen Aussagen konfrontiert werdet, haben wir die Webseite gegen-antifeminismus.de entworfen. Hier werden die gängigsten antifeministischen Behauptungen zum Thema geschlechtsspezifische Gewalt einem Realitätscheck unterzogen. Zu jedem Thema findet ihr zudem feministische Forderungen und SharePics, die ihr auf Social-Media-Kanälen teilen könnt.
Antifeministische Behauptungen widerlegen via:
Sexualisierte Gewalt nur thematisieren, wenn es zur rassistischen Stimmungsmache taugt? Spätestens seit Köln und dem Sommer 2015 sind sich Antifeminist*innen aller Couleur einig: Gewalttätig gegen Frauen sind nur, "die Anderen". Eine Aussage, die genauso falsch wie auch rassistisch ist. Dennoch nutzen Rechte diese Aussage, um für ihre Zwecke zu mobilisieren, Zeit dem was entgegenzusetzen!
Themen und Ziele des Antifeminismus
Antifeminismus richtet sich gegen geschlechtliche und sexuelle Vielfalt, gegen Geschlechtergerechtigkeit und Gleichberechtigung, gegen die Auflösung vermeintlich traditioneller Familien, gegen Erziehung zu einer selbstbestimmten Sexualität und gegen eine diverse Gesellschaft mit vielfältigen Lebensentwürfen von Frauen*, Männern*, allen, die sich weder als Mann oder Frau verstehen und Familien. Dazu gehört darüber hinaus die Bekämpfung von Frauen- und Geschlechterforschung und Gender-Mainstreaming sowie die Ablehnung der Gleichberechtigung von Homosexuellen und Trans*. Kennzeichnend ist außerdem die permanente Diffamierung der Emanzipation gesellschaftlicher Gruppen als übertriebene political correctness. Geschlechterrollen werden als genetisch vorgegeben und eindeutig aufgeteilt begriffen. Sie werden zugleich mit bestimmten Fähigkeiten, Charaktereigenschaften und eben auch mit gesellschaftlichen Positionen verknüpft. Antifeminist*innen verfolgen also ein biologistisches Geschlechtermodell. Geschlechterrollen sind jedoch abhängig von sozialen und gesellschaftlichen Verhältnissen und damit wandelbar. Davon abweichende Lebensweisen und Identitäten werden als ‚unnatürlich‘ herabgesetzt und bekämpft.
Antifeministische Ressentiments werden derzeit vor allem über Rassismus und Islamfeindlichkeit und unter Berufung auf die Bewahrung vermeintlich traditioneller, konservativer oder christlicher Werte geschürt. So werten Antifeminist*innen kinderlose Frauen ab und machen sie für den Geburtenrückgang in Deutschland verantwortlich; sie lehnen die gleichgeschlechtliche Ehe ab; sie sprechen vom sogenannten ‚Gender-Wahn‘; sie konstruieren die rassistische Figur des ‚übergriffigen Fremden‘, durch die sie eingewanderte junge Männer als alleinige Ursache für Gewalt an Frauen darstellen. Obwohl Statistiken belegen, dass Täter*innen meist aus dem familiären und sozialen Nahbereich der Betroffenen stammen. Die Schuld an den Übergriffen sprechen sie wiederum den Feminist*innen zu, da sie Migration befürworten würden.
Wenn mit Lügen über sexualisierte Gewalt Hass geschürt wird
Gleichstellungsarbeit rückt neben der Migrationspolitik vermehrt in den Fokus extrem rechter Kräfte. Sie lehnen Gleichstellung ab, streben ein stereotypes Bild vom Mann- und Frausein an und vereinnahmen gesamtgesellschaftliche Herausforderungen, wie z.B. Gewalt gegen Frauen, wenn sie damit gegen »Andere« hetzen können.
Antifeminismus und Gender im Rechtspopulismus und Rechtsextremismus
Antifeminismus ist eine zentrale Ideologie im Rechtspopulismus und Rechtsextremismus. Das Erstarken extrem rechter Bewegungen und menschenfeindlicher Weltanschauungen in den letzten Jahren in Deutschland geht daher auch mit einem Erstarken von Antifeminismus einher. Populistischen und extrem rechten Bewegungen gelingt es dabei verstärkt auszunutzen, dass Antifeminismus im Vergleich zu Rassismus oder Antisemitismus weniger stark als menschenfeindlich erkannt und gewertet wird. Feministinnen oder Gender-Mainstreaming werden lächerlich gemacht oder bekämpft. Die Agitation gegen sexuelle Vielfalt und die Gleichwertigkeit aller Geschlechter fällt auch in der Mitte der Gesellschaft auf fruchtbaren Boden.
Über antifeministische Themen können Menschen und breite Bündnisse bis weit in die politische Mitte angesprochen, mobilisiert und organisiert werden. Antifeministische Positionen und Meinungen können überdies eine Brückenfunktion über diverse extremistische Lager und eine Scharnierfunktion bis weit in konservative oder bürgerliche Kreise hinein haben. Im Antifeminismus verorten sich also verschiedene gesellschaftliche Strömungen, Akteur*innen und Netzwerke.
Was ist mit Gender gemeint?
Im Alltag jedes Menschen spielt Geschlecht ein zentrale Rolle. Fast kein Behördenformular kommt ohne Geschlechtseintrag aus, Vornamen gelten als entweder weiblich oder männlich, Anreden in E-Mails adressieren Männer oder Frauen. Im Alltag wird Geschlecht unter den Vorzeichen einer angenommenen Zweigeschlechtigkeit permanent abgefragt, in Szene gesetzt, hervorgebracht und damit erst relevant.
Diese Phänomene und Zusammenhänge werden u.a. mit dem Begriff gender beschrieben und analysiert. Unter gender wird die gesellschaftliche, also die soziale Dimension von Geschlecht verstanden - im Gegensatz zum deutschen Begriff “Geschlecht”, worunter das biologische Geschlecht verstanden wird. In dieser Auseinandersetzung lässt sich überhaupt erst verstehen, welche gesellschaftlichen Auswirkungen soziale und geschlechtsbezogene Zuschreibungen haben. Diese zu verstehen ist eine Voraussetzung für den Abbau von Ungleichheiten in den Geschlechterverhältnissen, für den sich Feministinnen und Frauenrechtler*innen seit vielen Jahrzehnten einsetzen.
Feminismus und Gender als Feindbild
Gender – bzw. alles was darunter verstanden wird – ist mittlerweile zu einem massiven Feindbild im Rechtspopulismus und in der extremen Rechten geworden. Eine Spielart des Antifeminismus ist der ‚Antigenderismus‘. Dieser spricht der Frauen- und Geschlechterforschung bzw. den Gender Studies ihre Wissenschaftlichkeit ab; er zieht massiv gegen die liberale Idee der Geschlechtervielfalt zu Felde und wendet sich unter dem Kampfbegriff der ‚Frühsexualisierung‘ gegen eine plurale Sexualerziehung.
Im Rechtspopulismus finden sich verschiedene Auffassungen, was die Rolle von Frauen, das Ziel ihrer gewünschten gesellschaftlichen Stellung oder die Frage des Feminismus betrifft. Einerseits ist der Feminismus ein Feindbild, das schuld an Migration und einer angeblichen ,Überfremdung‘ sei. Andererseits wird eine nationalistische Frauenrolle vertreten - mit biologistischen und ultrakonservativen Argumentationen werden Mutterschaft und vermeintlich typisch weibliche Eigenschaften aufgewertet. Rechtskonservative bis extrem rechte Frauen werden als ‚wahre Feministinnen‘ inszeniert, die ‚deutsche Frauen‘ vor sexualisierter Gewalt durch ‚Fremde‘ schützten.
Frauen und Antifeminismus
Frauen selbst spielen eine wichtige Rolle wenn es darum geht, antifeministische Ziele und frauenpolitische Themen zu transportieren. Sie geben antifeministischen oder sexistischen Argumentationen Gewicht – nach dem Motto: ‚Wenn sogar eine Frau das sagt, ...‘. Außerdem geben sie extrem rechten Bewegungen ein weibliches, vermeintlich friedfertiges Gesicht und machen sie damit anschlussfähig an die gesellschaftliche Mitte. Geschlechterpolitische Fragestellungen und sogenannte Frauenthemen werden in (neu)rechten Bewegungen – auch von weiblichen Vertreter*innen – dabei teilweise mehrdeutig verhandelt: So stehen beispielsweise die propagierten Geschlechterbilder und die zugrundeliegenden sexistischen Ideologien, wonach sich Frauen um die Versorgung der Kinder zu kümmern haben, im Widerspruch zu den aktiven politischen Rollen von Frauen innerhalb extrem rechter Bewegungen und Parteien.
Frauen, Rechtspopulismus und Rechtsextremismus in Nordrhein-Westfalen
Erste umfangreiche Studie zum Thema im Bundesland
Antifeminismus und Antisemitismus
Einige Akteur*innen des Antifeminismus sind in ihrer Ideologie auch im antisemitischen Weltbild verhaftet und sehen Jüd*innen als „Strippenzieher“ des Feminismus und „Genderismus“. Das ist nicht sonderlich verwunderlich: Sowohl im Antisemitismus als auch im Antifeminismus gelten eine vielfältige Gesellschaft, Liberalismus und weitere Aspekte der Moderne als Bedrohung. Veränderungen werden nicht als Folge von teils langwierigen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, sondern personalisierend als „Machwerk“ weniger einflussreicher Menschen angesehen, die auf Kosten der Gesellschaft nur an ihren eigenen Vorteil denken würden. Diese “Strippenzeiher” werden im Verschwörungsdenken oftmals als jüdisch imaginiert. Der „Genderismus“ wird in dieser Verschwörungsideologie als zentraler Bestandteil für die Manipulation des „deutschen Volkes“ gesehen.
Normalisierung von Sexismus und Antifeminismus
Frauenfeindlichkeit, Frauenhass (Misogynie) oder Sexismus sind Teil von Antifeminismus und nehmen sehr unterschiedliche Gestalten und Formen an. Frauenhass oder Sexismus wird dabei eingesetzt, um Antifeminismus durchzusetzen. In welch erschreckendem Ausmaß und mit welcher Heftigkeit Gewalt, Vergewaltigungen oder sexualisierter Mord angedroht werden, davon können vor allem feministische Politiker*innen und Netzfeminist*innen berichten. Hetze und Diffamierungen in sozialen Medien und in den Kommentarspalten von Zeitungen sowie sexistische Äußerungen mächtiger Politiker sind dabei Ausdruck einer Normalisierung von Sexismus und Antifeminismus.
Nicht jede Kritik an Feminismus und feministischen Zielen ist antifeministisch; Feminismus ist dynamisch und befindet sich in einem Prozess ständiger Veränderung. Der Kampf für Frauenrechte und gegen Sexismus verbindet sich seit jeher mit dem Kampf für Menschenrechte und gegen Formen der Diskriminierung und Hierarchisierung wie Rassismus, Kapitalismus, Nationalismus, Kolonialismus oder Heterosexismus. Dieses ideelle Verständnis von Feminismus ist mit antiliberalen, antimodernen und rassistischen Vorstellungen extrem rechter Bewegungen und Politiken nicht vereinbar. Die Verschärfung einer antifeministischen und frauenverachtenden gesellschaftlichen Stimmung, Gegendiskurse zur Gleichstellung von Mann und Frau sowie genderbezogene Aggressionen müssen im Blick behalten werden und als das bezeichnet und bekämpft werden, was sie sind: demokratiefeindlich.
Sie fragen sich, was Sie gegen Antifeminismus tun können? Wir haben Ihnen einige Vorschläge zusammengetragen.
Die Amadeu Antonio Stiftung unterstützt Sie nach besten Kräften in Ihrem Engagement.
Begriffserklärungen zu Gender und Lesben, Schwulen sowie trans* Personen