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Demokratie ist kein Geschenk des Schicksals – Newsletter November 2019

Demokratie ist kein Geschenk des Schicksals - Newsletter November 2019 der Amadeu Antonio Stiftung

In eigener Sache

Liebe Leserinnen und Leser,

Im November, vor allem in diesem Jahr, dem dreißigsten Jahrestags des Mauerfalls, geistert ein Wort durch die Medien, das ich ganz furchtbar finde. Die Rede ist vom „Schicksalstag der Deutschen“ und gemeint ist der 9. November. Bei dieser Kombination wird mir immer ganz mulmig. Abgesehen davon, dass Schicksal ein Begriff ist, der meinem aufgeklärten Verstand meist zuwiderläuft, erscheint die Erzählung vom Schicksalstag wie eine Entlastung. Der Gedanke der Verantwortung für drei Ereignisse, die besonders im Lichte dieses Datums stehen, geht verloren, wenn man sie mit dem Wort Schicksal belegt.

Der 9. November 1918, als die Republik ausgerufen wurde, war kein Schicksal. Dem ist ein Weltkrieg vorausgegangen und ein großer Umbruch in Europa. Viele Menschen haben ihr Leben lassen müssen, damit die Republik möglich werden konnte. Der erste Weltkrieg hatte Europa verwüstet. Die Zeit des Kaisers war vorbei. Und es begann die Weimarer Republik, damit die erste deutsche Demokratie. Diese Demokratie hielt bis 1933. Die Deutschen hatten Hitler an die Macht gewählt und er ließ sich von der Mehrheit der deutschen Eliten ermächtigen, um sogleich die parlamentarische Demokratie abzuschaffen und sie durch eine Diktatur zu ersetzen.

Die nationalsozialistischen Pogrome gegen die Juden am 9. November 1938 gehörten zur gewollten Eskalation der antisemitischen Agenda der Nationalsozialisten. Das Ziel war die Vernichtung der europäischen Juden. Der Tag der Pogrome wurde mit Absicht auf den 9. November gelegt. Der perfide, ja vielfach zynische Gedanke dahinter: Der Geist der demokratischen Befreiung von 1918 wurde mit der Machtergreifung Hitlers beendet. Die liberale Demokratie wurde von den Nazis auch als Judenrepublik beschimpft. Um der Verachtung von Demokratie und Judentum eins draufzusetzen, wurden die Pogrome an diesem Tag durchgeführt. Also – kein Schicksal, kein Zufall. Sondern der Beginn der Vernichtung, an deren Ende der systematische, industrielle Mord an den europäischen Juden stand. Das erste Mal in der Geschichte der Menschheit wurde eine Gruppe von Menschen fabrikmäßig getötet, weil sie einer bestimmten Gruppe angehörten. Und nichts weiter.

Der 2. Weltkrieg hatte 70 Millionen Menschen das Leben gekostet. Er hat Europa zerrissen, die Welt erschüttert und als eine der Folgen den Kalten Krieg befeuert. Die Sowjetunion als eine der Siegermächte erweiterte ihre Einflusssphäre und besetzte den östlichen Teil Deutschlands. Die Teilung des Landes war die unmittelbare Konsequenz aus dem Krieg und der Vernichtung, für die Deutschland verantwortlich war.

Als am 9. November 1989 die Mauer fiel, hatte auch das nichts mit Schicksal zu tun. Die Schutzmacht Sowjetunion war zum Schutz des bröckelnden sozialistischen Systems der DDR nicht mehr bereit. Die Wirtschaft lag am Boden und die Menschen wollten nicht mehr eingesperrt und bevormundet leben. Die großen Demos brachten das Kartenhaus ins Wanken und ein Irrtum auf der Pressekonferenz des Zentralkomitees der SED gab den Impuls, der die Mauer schließlich fallen ließ. Ohne Bezug zur Novemberrevolution von 1918 oder den inszenierten Pogromen von 1938. Das einzig Schicksalhafte an diesem Tag war vielleicht das Wetter. Der Ablauf der Ereignisse ausgerechnet an diesem Datum - Zufall.

Die Erinnerung an diese Ereignisse ist wichtig. Denn sie waren kein Schicksal. Schicksal ist nicht zu beeinflussen, gesellschaftliche und politische Entscheidungen sind es schon. Deswegen kann der Jubiläumstag des Mauerfalls und alle anderen Ereignisse des 9. Novembers zum Anlass genommen werden, auch die Demokratie von heute nicht als Geschenk des Schicksals hinzunehmen. Sie ist immer dann fragil, wenn ihre Feinde sie zerstören wollen und die Demokraten dies nicht ernst nehmen.

Dagegen müssen wir aktiv werden. Verantwortung kommt nicht von oben oder unten. Sondern von jedem Einzelnen.

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Herzliche Grüße,

Ihre Anetta Kahane

Anetta Kahane. Foto: © Peter van Heesen

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