Stellungnahme der Amadeu Antonio Stiftung zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr des Digitale Dienste-Gesetzes (DDG)
Einen europaweit einheitlichen Rechtsrahmen zu schaffen für digitale Dienste wie Onlineplattformen und Suchmaschinen ist die begrüßenswerte Intention des Digital-Services-Acts. Dabei im Blick zu haben, die Online-Welt für Nutzer*innen sicherer und Beschwerdewege zugänglicher zu machen, ist aus der Perspektive einer Stiftung, die die Opfer von rechtsextremer, rassistischer, antisemitischer oder misogyner digitaler Gewalt im Blick hat, ein sinnvoller Ansatz.
Im Sinne einer einheitlichen Anlaufstelle und einer starken Regulierungsbehörde begrüßen wir den Ansatz des „Digitale-Dienste-Gesetzes (DDG)“, mit der Bundesnetzagentur die eine zentrale Koordinierungsstelle für Digitale Dienste zu schaffen, deren Kompetenzen nur in den Fachbereichen Jugendmedienschutz und Datenschutz mit der entsprechenden Bundeszentrale für Jugendmedienschutz und des Bundesbeauftragten für Datenschutz geteilt werden. Interessiert werden wir begleiten, wie sich dort die entsprechenden Fachkompetenzen angeeignet werden, wie vielleicht auch die Expertise anderer Ministerien eingebunden werden kann, die in den letzten Jahren aufgebaut wurde.
Für die erfolgreiche Umsetzung des Digitale-Dienste-Gesetzes sind aber nicht nur juristische, sondern auch gesellschaftspolitische und digitalpolitische Kompetenzen vonnöten, wenn wir damit auch über demokratisch wichtige Themen wie Meinungsfreiheit, Informationsfreiheit, Schutz von Opfern, aber auch von digitalspezifischen Bedrohungslagen und Angriffen auf die Demokratie sprechen. Hierzu gibt es eine große Expertise in der Wissenschaft, aber noch tagesaktueller – und wir reden von schnellen Medien – auch in der Zivilgesellschaft. Diese ist täglich in Kontakt mit den praktischen Folgen der Gesetzgebung und kann sowohl die Lage von Opfern und Beratungsstellen als auch Erkenntnisse zur Nutzer*innen-Perspektive der digitalen Dienste aus der Praxis beisteuern kann. Zivilgesellschaftliche Arbeit im digitalen Raum ist ein Frühwarnsystem und ein Kontrollinstrument. Denn ein Schutzkonzept auf dem Papier ist nur dann gut, wenn es sich auch in der Praxis bewährt.
Wenn wir aus der Perspektive einer zivilgesellschaftlichen Organisation, die seit 20 Jahren im Bereich der digitalen Demokratie tätig ist, auf den Referentenentwurf blicken, fällt uns ins Auge, dass die Einbindung der Wissenschaft in DDG-Prozesse sowohl gut geregelt als auch inhaltlich und finanziell unterfüttert scheint: Mit einer klaren Struktur in der Koordinierungsstelle, was Prozesse der Zertifizierung und des Zugangs angeht, mit der Benennung als Expertise-Quelle, die von der Behörde ausdrücklich gehört und sogar mit einem eigenen Forschungsetat finanziert werden soll. Das ist ganz hervorragend und ein wichtiger Fortschritt. Wir brauchen mehr Forschung dazu, wie Algorithmen unserer Demokratie gefährden und mit welchen Stellschrauben gesellschaftlich und politisch hilfreiche Effekte erzielt werden können oder welche Regulierungen wirken und welche neue Probleme aufwerfen.
Diese klare Einbindung und Unterstützung hätten wir uns für den zivilgesellschaftlichen Bereich ebenfalls gewünscht.
Leider lässt sich diese Einbindung oder auch nur eine organisierte Sichtbarkeit im vorgelegten Referentenentwurf nicht finden. Beim Zugang zu Netzwerkdaten sind NGOs höchstens als „mitgemeint“ eingestuft – dabei ist es in der Regel tagesaktuelles zivilgesellschaftliches Monitoring, das Gefährdungslagen als erster Seismograph erkennt und publiziert, damit bestenfalls Opfern hilft oder Netzwerke anregt, Sicherheitslücken zu schließen und schließlich Wissenschaftsprojekte inspiriert und teilweise mit Materialien versorgt. Wir hoffen sehr darauf, dass zivilgesellschaftliches Monitoring ebenso Zugang zu Daten erhält, wenn die inhaltliche Notwendigkeit dazu nachgewiesen werden kann.
Strukturen, die eine zivilgesellschaftliche Beteiligung ermöglichen, sind leider nur nebulös umschrieben als „Netzwerkarbeit und Konferenzen“ (S.58). Dies ist enttäuschend, unkonkret und unverbindlich – eine bessere Ausgestaltung würde dem DDG-Entwurf gut zu Gesicht stehen, um das Vertrauen der Zivilgesellschaft in die Umsetzung des DDG zu stärken. Außerdem werden so wichtige Quellen für die Entwicklung der Bundesnetzagentur als Koordinierungsstelle verschenkt.
Dazu kommt: Für „Netzwerkarbeit und Konferenzen“ können nur Expert*innen einladen werden, die finanziert in diesem Bereich arbeiten. Hier ist allerdings ab dem nächsten Jahr ein massiver Brain Drain zu erwarten, da die bisherigen Förderungen des Bundesjustizministeriums von digitalen Beratungs- und Präventionsprojekten in Umfeld des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes gestrichen werden – und es mit Rufen nach Gelderstreichungen in allen Ministerien wohl keine Auffangmöglichkeiten in anderen staatlichen Förderstrukturen gibt. Hilfreich wäre hier die Festschreibung eines Fördertopfes im DDG für digitalpolitisch, digitalpädagogisch oder digitalberatende Projektarbeit. Die geförderten Projekte könnten dann im Umkehrschluss auch dem BMDV und der Bundesnetzagentur als Informations- und Inspirationsquelle zur Verfügung stehen.
Doch im DDG-Gesetzesentwurf wird diese Frage nicht einmal gestreift.
Einzig der Beirat wird noch als Beratungsgremium ohne Entscheidungsbefugnisse genannt, mit 16 Mitgliedern, die aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft kommen sollen, wobei unter Zivilgesellschaft explizit Verbraucherverbände und Wirtschaft genannt werden. Da lässt sich ausrechnen, wie viele Plätze es für gesellschaftspolitische oder medienpädagogische zivilgesellschaftliche Perspektive es im Beirat geben wird.
So bleibt für die Zivilgesellschaft, die die Situation in der digitalen Welt für alle demokratisch verbessern wollen, wieder nur der Weg über die informellen Hintergrundgespräche, um die eigene Expertise über Umwege noch einfließen zu lassen – so lange Projekte existieren und darin noch ein Tätigkeitsfeld sehen. Das ist eine vertane Chance. Eine Nachbesserung an dieser Stelle wäre ein ermutigendes Zeichen an alle engagierten Menschen, die sich schon für demokratische Debattenkultur, digitalen Minderheiten- und Opferschutz und gegen Desinformationen eingesetzt haben, als das Internet für die Politik noch Neuland war.
Außerdem haben die zivilgesellschaftlichen Anhörungen zum Demokratiefördergesetz gezeigt, dass etwa im Bundesfamilienministerium und im Bundesinnenministerium stets die Meinung geäußert wurde: Um Hate Speech und „das Internet“ kümmere sich das Bundesjustizministerium. Wenn dieser Bereich nun zum Bundesdigitalministerium wechselt, müssten es auch Fördermöglichkeiten und erfolgreich erprobte Anhörungsstrukturen tun.
Ansonsten freuen wir uns aber auf mehr Transparenz durch verbesserte Berichtspflichten und Werbungskennzeichnungspflichten, beobachten gespannt die Durchsetzung der Strafen bei fehlenden Konsequenzen, und werden die Ausleitung von Daten an Strafverfolgungsbehörden weiter kritisch begleiten. Die verbesserten Beschwerdemöglichkeiten durch die neue Koordinierungsstelle werden wir gern testen und gegebenenfalls empfehlen.
Allerdings finden wir, dass gerade der Schutz der Freiheitsrechte und Beteiligungsmöglichkeiten aller Menschen online nicht nur defensiv gesichert werden sollte – also durch Beschwerdemöglichkeiten oder Klagewege -, sondern auch durch präventive und proaktive Regulierungen wie Vorgaben zu menschlicher Moderation in Sozialen Netzwerken, Regulierung von technischen demokratiegefährdenden Problematiken wie Desinformation by Design oder mit der Einführung von verpflichtenden zivilgesellschaftlichen Expert*innen-Beiräten für große Plattformen, um Community Guideline-Entscheidungen zu überprüfen, wie es einige Netzwerke bereits freiwillig tun. Wir stehen für weitere Beratungen diesbezüglich jederzeit gern zur Verfügung.