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„Wir sind da und gehen auch nicht weg – Niemals.“ – Newsletter Februar 2020

"Wir sind da und gehen auch nicht weg - Niemals." - Newsletter Februar 2020

In eigener Sache

Liebe Leserinnen und Leser,

zum Beginn des neuen Jahrzehnts liegt es in der Luft, einen Vergleich mit den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts zu ziehen. Überall werden Parallelen gezogen oder der wilde Geist jener Zeit mystifiziert. Sogar gegenüber, auf der Litfaßsäule, wirbt ein Club mit der goldenen Zeit. Die meisten Vergleiche zielen aber auf die Wirren der Weimarer Republik, die Destabilisierung der Demokratie und die verheerende Schwäche gegenüber dem Nationalsozialismus. Damals gab es eine sogenannte Mitte, die die Nazis nicht so schlimm fanden - Antisemitismus eingeschlossen -  und an der Republik wenig Gefallen fanden. Am Ende ermächtigten sie Hitler und brachten damit die größte Katastrophe in der Weltgeschichte in Gang. Schwäche, Kalkül, Gleichgültigkeit, Hass: Das war zumindest ein Teil der Zutaten für Hitlers Macht. Hinzu kam ein Volk, das ihn wegen - und nicht trotz - seines nationalsozialistischen Totalitarismus wählte, Antisemitismus eingeschlossen.

Wir haben gerade erlebt, wie in Thüringen ein Testballon gestartet wurde. Um die Koalition um Bodo Ramelow zu verhindern, wollte sich die sogenannte Mitte von heute auf die AfD einlassen. Die Wahl von Kemmerich als FDP-Mann mit den Stimmen der AfD und der CDU hätte auch bedeutet, mit der AfD zu regieren. Denn nichts Anderes wäre mathematisch und politisch denkbar und möglich gewesen. Doch dieser Vorgang ist auf breiten Protest der zivilen Gesellschaft gestoßen, einschließlich vieler Medien und vieler Menschen im Politikbetrieb. Und das unterscheidet diese 20er Jahre von denen im letzten Jahrhundert ganz essentiell.

Sicher waren die letzten zehn Jahre von vielen schrecklichen Entwicklungen und Ereignissen geprägt. Die rassistischen Thesen von Sarrazin in 2010, die Selbstenttarnung des NSU und die Anschläge in Oslo und Utøya 2011, der Aufstieg der AfD seit 2013 bis hin zu den Hetzjagden in Chemnitz, den antisemitischen Anschlag von Pittsburgh, Christchurch und Halle und dem Mord an Walter Lübcke. Dazwischen lagen hunderte Angriffe auf Geflüchtete und ihre Unterstützer und der Hass im Internet nahm ungeheuerliche Ausmaße an. Dennoch sind die Parameter unserer Zeit völlig andere. Das ist gewiss kein Trost und kann nicht beruhigen, aber dennoch finden wir es wichtig, den Unterschied festzustellen. Denn es geht auch um uns.

Die Gesellschaft ist viel ausdifferenzierter geworden, vielschichtiger, verbunden mit sehr viel mehr Interessen und Rechten gerade für Minderheiten. Das hat dazu geführt, dass wir auch sehr viel aufmerksamer auf Diskriminierungen und Ungerechtigkeiten reagieren. Für mehr Gleichwertigkeit zu streiten macht einen großen Teil unseres Selbstbewusstseins aus. Je selbstbewusster wir uns mit den Zuständen auseinandersetzen, desto deutlicher werden die Konflikte der Gesellschaft. Das heißt aber nicht, dass sie früher nicht da waren. Sie waren da - und noch sehr viel schärfer als heute. Denken wir nur an die Rolle von Frauen noch in den 1980er Jahren. Oder was der übliche Diskurs zu Homosexualität war. Oder wie "Ausländer" behandelt wurden. Dass dies heute anders ist, hat mit dem Einsatz der Zivilgesellschaft zu tun, mal mehr und mal weniger unterstützt von der Politik. Und die Zivilgesellschaft selbst ist auch stärker geworden. Sogar im Osten. Denn vergessen wir nicht, dass es hier mit dem Rechtsextremismus keinesfalls besser als heute mit der AfD war, es wurde nur darüber geschwiegen. Heute erst ist der Konflikt, sind alle Konflikte unserer Zeit, auch offen zu sehen. Bis vor Kurzem wurden sie lediglich verdeckt.

Nein, es gibt heute keine Spaltung der Gesellschaft, nur Konflikte. Die müssen ausgetragen werden. Es gibt nicht weniger Gleichwertigkeit, sondern mehr. Aber wir sind noch lange nicht fertig. Es gibt nicht weniger Demokratie, sondern nur eine Schwäche alter Formen und Inhalte, die dringend der Zeit angepasst werden sollten.

Dafür aber haben wir viel mehr engagierte Zivilgesellschaft. Sie stand auf den Straßen von Erfurt, Jena, Köln und Hamburg. Und das ist gut so. Nein, es ist noch nicht vorbei mit der Gefahr von Rechtsaußen. Vielleicht hat es gerade erst angefangen. Aber wir sind da und gehen auch nicht weg. Niemals.


Herzliche Grüße,
Ihre Anetta Kahane

Anetta Kahane. Foto: © Peter van Heesen

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