Liebe Leserinnen und Leser,
bald ist ja Bundestagswahl, und wir als Stiftung sind angehalten, keinen Wahlkampf zu machen. Selbstverständlich halten wir uns daran. Was aber durchaus zu kommentieren ist, sind die Programme der demokratischen Parteien. Und da ist uns etwas aufgefallen, über das wir unbedingt eine Diskussion führen müssen. Nirgendwo ist eine Zukunftsidee zu sehen, was den Klimawandel in der Gesellschaft betrifft. Alle Parteien denken über kleinteilige Maßnahmen nach, die einen mehr als die anderen, die einen in diesem Feld und andere in jenem. Aber eine Grundidee ist nicht zu erkennen. Zukunftsfähigkeit kann doch nicht nur an Glasfaserkabeln gemessen werden oder an Klimaneutralität. Gewiss ist das wichtig, aber nur ein Teil der aktuellen Fragen. Was sollen wir mit Punkt eins und zwei, wenn die Demokratie zur Disposition steht? Manche denken sogar, dass es ohne diese umständliche Demokratie viel leichter wäre, für Kabel und Klima zu sorgen.
Deswegen sollte in den Wahlprogrammen noch etwas anderes stehen. Ohne Demokratie und eine demokratische Kultur sind all die Pläne nicht wirklich zukunftsfähig. Wie wäre es also, wenn die Parteien endlich zu der Frage Stellung nähmen, wie sie sich die Zukunft der Demokratie vorstellen? Vor allem, was die Gleichheit vor dem Gesetz und das Diskriminierungsverbot betrifft. Denn dieses Thema zieht sich durch alle Bereiche des Lebens. Gleichwertigkeit und Diskriminierungsverbot mögen im Artikel 3 des Grundgesetzes stehen, sind aber überhaupt nicht Realität. Aus diesem Grund wollen wir wissen, was die Parteien sich dafür vorgenommen haben. Nicht nur in kleinen Einzelmaßnahmen. Die Einwanderungsgesellschaft zu gestalten, bedeutet fit zu sein für die Zukunft. Es nicht zu tun, bedeutet genauso daran zu scheitern wie bei Unterlassung in Klima- und Kabelfragen.
Und wie die beiden anderen ist das eine gewaltige und ernstzunehmende Aufgabe, die mit einem Demokratiefördergesetz allein nicht getan ist – obwohl dies gewiss ein wichtiger Schritt wäre. Doch um neue Baseballschlägerjahre zu verhindern oder Anschläge oder massive Einschüchterung von Demokratinnen – ja, hier betrifft es ganz besonders die Frauen –, reicht ein solches Gesetz nicht. Es wäre ein Anfang, doch hinzu kommen müsste, dass Polizei und Justiz sich ebenso am Artikel 3 orientierten wie die Bildungspolitik. Dass in Schulen auch demokratische digitale Kompetenz unterrichtet wird, gehört dazu, und dass Antisemitismus nicht nur ein Wort zum Sonntag bleibt. Rechte Netzwerke auflösen gehört dazu – gerade in Bundeswehr und Polizei, aber auch sonst überall –, denn das ist gegen das Gesetz und keine Frage der Neutralität. Dass Frauen in Deutschland noch immer behindert werden in ihrem Recht auf Gleichberechtigung, ist ein Skandal, dagegen hilft nur eine zielgerichtete Politik. Und Schutz.
Überhaupt wäre der Rechtsstaat nicht überfordert, wenn er auf die Einhaltung seiner Gesetze und die Grundlagen seiner Verfassung stärker einginge. Deshalb: Strafrechtliche Verfolgung bei allen Verstößen, Bedrohungen und Übergriffen, die gegen den demokratischen Staat gerichtet sind. Der laxe Umgang mit Nazis bei gleichzeitigem Mangel an Schutz für Menschen, die sich gegen Nazis engagieren, macht keinen Sinn für ein zukunftsfähiges Land. Es macht auch gar keinen Sinn, Appelle an die Zivilgesellschaft zu richten, doch bitte, bitte engagiert gegen Rassismus und Antisemitismus einzustehen, aber keine ordentlichen rechtlichen Grundlagen dafür zu schaffen, wie eine Novelle des Gemeinnützigkeitsrechts. Sich engagieren kann die Zivilgesellschaft auf Dauer nur, wenn der Rechtsstaat ihr zur Seite steht und nicht ausweicht oder ihr daraus sogar einen Vorwurf macht.
DA wären wir übrigens wieder bei der Neutralität. Nein, wir sind nicht neutral, wir sind große Fans des Grundgesetzes. Und wir halten uns an die Regeln. Wahlkampf machen heißt für uns heute die Aufforderung an alle Leser:innen, zur Wahl zu gehen und danach, bei der Regierungsbildung, die Zukunftsfähigkeit einzufordern. Und zwar laut und deutlich.
Herzliche Grüße
Ihre Anetta Kahane
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