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„Zu politisch und nicht neutral?“ – Newsletter August 2021

"Zu politisch und nicht neutral?" - Newsletter August 2021

In eigener Sache

Liebe Leserinnen und Leser,

 

von Demokratie zu reden, hört sich oft hohl und floskelhaft an. Außerdem meinen die Leute unterschiedliche Dinge, wenn sie dieses Wort benutzen. Manche denken dabei an die Staatsform, andere an Alltagskultur, wieder andere benutzen Demokratie als Schimpfwort. Wir haben im letzten Jahr erleben müssen, dass Menschen in der Pandemie an Verschwörungen glauben und wie viele davon sich einen Umsturz wünschen. Sie wollen die Demokratie abschaffen. Sie tun es mit der elenden Begründung, dass Demokratie und Rechtsstaat eigentlich eine Diktatur seien, weil sie sich nicht nach ihren Forderungen richten. Deshalb will diese kleine Minderheit eine Staatsform, die allein ihren Interessen folgt. Wie sie es nennen, bleibt unklar, aber nach allen Regeln der Wissenschaft nennt man das Diktatur.

 

Solche lauten Eruptionen wirken schon bedrohlich, vor allem dann, wenn sich Rechtsextreme daraufsetzen und die Menschen mit falschen Informationen, Hass auf Politiker:innen und engagierte Bürger:innen anheizen. Dazu kommt eine Partei, die mit Rechtsextremen und Neonazis in ihren Reihen das Klima in den Parlamenten vergiftet. Ehrlich gesagt, bringt die Lage, wenn man sie mit Abstand betrachtet, alles andere als Optimismus hervor. In den letzten Jahren hat sich das politische Klima verändert. Die Demokratiefeinde, die es immer gab, fühlen sich dadurch ermutigt.

 

Umso irrer ist es, wenn dann im Kleinen diese Entwicklung unterschätzt oder sogar befördert wird, indem die Demokratie mit ihren Grundsätzen als lästig oder gar „einseitig“ abgetan wird. So geschehen beim Nordostdeutschen Fußballverband, der einem seiner Vereine, Tennis Borussia Berlin, verbot sich auf seinen Trikots für Opfer rechter Gewalt zu engagieren. Das sei zu „politisch“ und nicht „neutral“. Und um noch eins draufzusetzen, meinte der Verband, dass sich bestimmte Fans dadurch „provoziert fühlen“ könnten.

 

Worum ging es bei den Trikots? Der Verein Tennis Borussia Berlin hatte die Idee, eine Werbefläche auf ihren Trikots, auf denen sonst Sponsoren für Telefone oder Uhren werben, dieses Mal kostenfrei dem Opferfonds Cura zur Verfügung zu stellen. Dieser Fonds unterstützt Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Ihnen wird schnell und unbürokratisch geholfen, wenn sie mit den Folgen eines Angriffs zu kämpfen haben. Cura erinnert auch an die Toten, die ermordet wurden, weil sie von den Mördern als unwertes Leben betrachtet wurden. Hautfarbe, Obdachlosigkeit, Religion, sexuelle Orientierung – passt den Tätern nicht ins Weltbild? Weg damit! Verprügelt, angezündet, angeschossen, beschimpft, gestoßen, umgebracht.

 

Verlässt es die politische Neutralität, gegen solche Menschenfeindlichkeit zu sein? Widerspricht das dem Grundsatz der Demokratie? Hat ein engagierter Verein hier die Klappe zu halten? Nein. Im Gegenteil: Demokratie enthält im Gegensatz zur Monarchie die Garantie, dass alle Menschen gleich viel wert sind, im Leben und vor Gericht. Das stellt der Artikel 3 des Grundgesetzes klar. Vor dem Gesetz sind alle gleich. Und Diskriminierung ist verboten. Eins geht nicht ohne das andere. Das ist der absolute Grundsatz der Demokratie. Ohne das gibt es keinen Rechtsstaat, keine öffentlichen Strukturen für alle, keine Vereine, die allen Menschen offenstehen, ganz unabhängig von Hautfarbe, Geschlecht, Herkunft etc. Kein Fußballverein in Deutschland darf dagegen handeln. Und die allermeisten wollen das auch nicht.

 

Das Engagement von Tennis Borussia, sich gegen Diskriminierung und Gewalt auszusprechen, stützt also die Grundlage, auf der die Demokratie beruht und damit auch die Arbeit ihres Fußballverbandes. Ohne Demokratie – kein Tennis Borussia und kein Fußballverband.

 

Die Frage ist also, wieso sich der Verband mit solch skandalösen Relativierungen, mit Rücksicht auf Nazi-Fans und der Leugnung demokratiefeindlicher Gewalt so ins Unrecht setzt. Was in aller Welt reitet diesen Verband? Demokratie als nicht neutral genug zu bezeichnen, ist bedenklich. Denn darüber gibt es nichts zu streiten. Es sei denn, man will sie weghaben. Doch das, lieber Verband, wäre dann wirklich nicht neutral!

 

Herzliche Grüße
Ihre Anetta Kahane

 

P.S.: Viele Leute haben gefragt, wie sie jetzt helfen können. Die größte Hilfe und das stärkste Zeichen ist eine Spende an den Opferfonds CURA für Betroffene rechter Gewalt.

Anetta Kahane. Foto: © Peter van Heesen

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